Die Hornisse
er nicht wieder anfing, regelmäßig zu spielen, würde er eines der wenigen Dinge im Leben verlieren, in denen er wirklich gut war. Die Damen auf Platz eins dagegen merkten, wie ihr eigenes Spiel spürbar schlechter wurde, je häufiger sie neidvoll den jungen Mann auf Platz vier beobachteten, der seine Bälle so hart schlug, daß es sich anhörte, als treffe den Ball kein Tennis-, sondern ein Baseballschläger.
Auch Chief Hammers Konzentration ließ zeitweise zu wünschen übrig. Sie hatte den Vorsitz bei einer Sitzung des Führungspersonals in ihrem privaten Konferenzraum im zweiten Stock. Ihr Bürotrakt war groß genug dafür. Die Fenster gingen zur Kreuzung Davidson und Trade Street hinaus. Etwas weiter weg sah man das mächtige US-Bank Corporate Center mit seinem albernen Aluminiumdach, das wohl eine Krone darstellen sollte. Doch die ganze Dekoration erinnerte eher an einen Wilden mit einem Knochen durch die Nase, der einer uralten Folge von Die kleinen Strolche entsprungen sein konnte. Pünktlich um acht Uhr an diesem Morgen, Hammer hatte gerade ihre erste Tasse Kaffee auf dem Schreibtisch abgestellt, hatte sie der Vorstandsvorsitzende dieser Sechzig-Etagen-Erektion da drüben angerufen.
Solomon Cahoon war jüdischer Herkunft, und bei der Namenswahl für ihren Erstgeborenen hatte für seine Mutter das Alte Testament eine entscheidende Rolle gespielt. Ihr Sohn sollte ein König werden und weise Entscheidungen treffen wie die von Freitag. Er hatte den Police Chief seiner Stadt gebeten, eine Pressekonferenz abzuhalten. Die Presse und damit die Bürger sollten erfahren, daß man die Serienmorde in Charlotte vor einem homosexuellen Hintergrund sehen müsse. Für normale Geschäftsleute, die die Stadt besuchten, sei das also keine Bedrohung. In der Northside Baptist Church würde in nächtlichen Andachten für die Familien der Opfer und die Seelen der Ermordeten gebetet. Zudem sollte sie mitteilen, die Ermittlungsarbeiten der Polizei kämen gut voran. »Nur zur Beruhigung«, hatte Cahoon Chief Hammer am Telefon wissen lassen. Hammer diskutierte mit ihren sechs Deputy Chiefs und Experten für Verbrechensanalyse und strategische Planung den jüngsten Wink von oben. Wren Dozier, Deputy Chief der Verwaltung, zeigte sich besonders erbost. Er war vierzig Jahre alt, ein Mann mit einem feingeschnittenen Gesicht und einem sensiblen Mund. Er war unverheiratet und lebte in jenem Teil des Vierten Bezirks, in dem Leute wie Tommy Axel in Apartments mit altrosa Türen wohnten. Dozier war sich sicher gewesen, nie über den Rang eines Captains hinauszugelangen. Dann war Hammer in die Stadt gekommen, eine Frau, die gute Leistung honorierte. Dozier würde für sie durchs Feuer gehen.
»Was für ein absoluter Schwachsinn«, ärgerte sich Dozier. Er spielte mit seinem Kaffeebecher und drehte ihn langsam auf der Tischplatte. »Und die Kehrseite davon?« Er sah einen nach dem anderen an. »Was ist mit den Frauen und Kindern der Opfer? Sollen die etwa denken, das Letzte, was Papi in seinem Leben getan hat, war ein bezahlter Treff mit einem Stricher in irgendeiner finsteren Straße irgendeiner finsteren Stadt?«
»Es gibt keinen Anhaltspunkt, der diese Theorie stützt«, sagte West. Auch sie war ganz und gar nicht einverstanden, mit dem was da geplant war. »So etwas kann man einfach nicht sagen.« Sie sah Hammer an.
Der Chief und Cahoon würden sich wieder in keinem Punkt einigen können, und sie wußte, er würde dafür sorgen, daß sie gefeuert wurde. Es war alles nur eine Frage der Zeit. Es geschah ja nicht zum ersten Mal. Auf ihrer Ebene drehte sich alles nur um Politik. Eine Stadt bekam einen neuen Bürgermeister, und der brachte seinen eigenen Chief mit - so geschehen in Atlanta. Auch in Chicago wäre es ihr so ergangen, hätte sie nicht vorher selbst gekündigt. Jetzt aber konnte sie es sich wirklich nicht leisten, noch einmal einem politischen Wechsel zum Opfer zu fallen. Die Städte würden immer kleiner werden, bis sie wieder genau dort war, wo sie angefangen hatte, nämlich im langweiligen, wirtschaftlich uninteressanten, armseligen Little Rock.
»Natürlich werde ich mich nicht vor die Reporter stellen und so einen Mist verkünden«, sagte Chief Hammer. »Ganz bestimmt nicht.«
»Nun, es kann nicht schaden, der Öffentlichkeit zu sagen, daß wir gewisse Hinweise verfolgen und daß wir an der Sache dran sind«, meinte die als PIO für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Beamtin. »Von welchen Hinweisen sprechen Sie?«
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