Die Hornisse
Telefonnummer? Ich möchte ihn anrufen.«
Das beeindruckte Panesa noch mehr. Der Chefredakteur sah Brazil jenseits der Glasscheibe. Wie gewohnt war er schon vor Schichtbeginn an seinem Platz und arbeitete freiwillig an etwas, das ihm niemand aufgetragen hatte. Panesa sah auf seine Telefonliste und gab Hammer Brazils Durchwahl. Es machte ihm richtig Spaß, Brazils erstaunten Gesichtsausdruck zu beobachten, als er einen Moment später den Hörer abnahm und sich der Chief persönlich bei ihm meldete.
»Judy Hammer.« Er erkannte ihre feste Stimme. »Ja, Ma'am.« Brazil setzte sich ein wenig aufrechter, stieß dabei den Kaffee um, mußte den Stuhl zurückschieben und Notizblöcke aus der lauwarmen Flut bergen.
»Hören Sie, ich weiß über alles Bescheid, was letzte Nacht passiert ist.« Der Chief kam direkt zur Sache. »Ich möchte, daß Sie wissen, daß ein derartiges Verhalten in keiner Weise vom Charlotte Police Department gebilligt wird. Ich billige es nicht, und es wird sich nicht wiederholen. Bitte nehmen Sie meine Entschuldigung an, Andy.« Als er sie seinen Namen sagen hörte, wurde ihm ganz warm. Seine Ohren wurden rot. »Ja, Ma'am«, war das einzige, was er immer wieder herausbrachte.
Er verdiente zwar mit Worten seinen Lebensunterhalt, aber fand er vielleicht welche, wenn er sie wirklich brauchte? Als sie auflegte, war er am Boden zerstört. Sie mußte ihn für hirnamputiert halten, eine Niete, einen Tölpel der Extraklasse. Verdammt noch mal, er hätte sich wenigstens bedanken können. Brazil wischte den Kaffee auf. Mit leerem Blick starrte er auf seinen Computermonitor. Wenn er sie jetzt zurückriefe, würde er sie wahrscheinlich nicht erreichen. Sicher wäre sie inzwischen in anderen wichtigen Dingen unterwegs. Keinesfalls aber würde sie weitere Zeit mit ihm vergeuden. Die Story, an der Brazil gerade schrieb und die von den Minimalverlusten der First Union Bank im Zusammenhang mit einem Betrugsfall handelte, geriet völlig in Vergessenheit. Auch Tommy Axel existierte heute nicht für ihn, obwohl er ganz in der Nähe saß.
Axel hatte Brazil den ganzen Morgen über beobachtet und glaubte, einen Aufruhr in Brazils Gefühlen feststellen zu können. Der Junge war sogar rot geworden, als Axel ihn ansah. Das war nun wirklich ein gutes Zeichen. Axel konnte sich kaum noch auf seine Kritik über Wynonna Judd konzentrieren, was sich ziemlich ungünstig für sie auswirkte. Das, was ein sensationeller Bericht über ihr jüngstes, hervorragendes Album hätte werden können, endete in einem nichtssagenden Geschwafel. Zweifellos würden Millionenverluste beim Verkauf die Folge sein. Axel hatte die Macht dazu. Er seufzte und machte sich Mut. Er sollte noch einmal einen Versuch machen, Brazil zu einem gemeinsamen Dinner, einem Konzert oder zum Besuch eines Clubs mit Männer-Striptease zu überreden. Vielleicht konnte er Brazil ja betrunken machen, ihm ein bißchen Gras zu rauchen geben, ihn mit Musik in Stimmung bringen und ihm dann zeigen, was das Leben noch so zu bieten hatte.
Entmutigt starrte Brazil wieder auf sein Telefon. Zum Teufel, wo war sein Mumm geblieben? Er nahm den Hörer ab, blätterte in seinem Adressenverzeichnis und wählte. »Vorzimmer Chief Hammer«, meldete sich eine Männerstimme.
Brazil räusperte sich. »Andy Brazil vom Observer« antwortete er überraschend ruhig. »Ob ich sie wohl einen Augenblick sprechen könnte?«
»Worum geht es denn?«
Brazil war entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Dazu war es zu spät. Wohin hätte er sich auch flüchten sollen? »Sie hatte mich angerufen«, gab er mutig zurück, so als wäre es völlig normal, daß die Chefin ihn anrief und um Rückruf bat. Captain Horgess war perplex. Hammer hatte was getan? Persönlich die Nummer dieses Reporters gewählt? Horgess haßte es, wenn sie das tat, anstatt sich von ihm verbinden zu lassen. Verdammt. Er wurde nicht klug aus dieser Frau. Sie war unberechenbar. Horgess hieb auf die Rückfragetaste, ohne Brazil einer Antwort zu würdigen. Zwei Sekunden später hörte Brazil überrascht ihre Stimme. »Entschuldigen Sie bitte die Störung«, sagte er rasch. »Ist schon in Ordnung. Womit kann ich helfen?« beruhigte sie ihn. »Ach, eigentlich gar nicht. Ich meine, es geht um keine Story. Ich wollte mich nur dafür bedanken, was Sie für mich getan haben.« Hammer schwieg. Seit wann bedankte sich ein Reporter für irgend etwas?
Brazil mißverstand ihr Schweigen. Großer Gott, jetzt hielt sie ihn endgültig für
Weitere Kostenlose Bücher