Die Hornisse
alten Tricks abzog? Eigentlich war sie ja gegen ihren Willen mit ihm hier draußen. Und sie hatte ihm deutlich genug zu verstehen gegeben, daß Polizeieinsätze ihn nichts angingen, und daß er, wenn es nach ihr ging, auch nur wenige miterleben würde. »An alle Einheiten in Block zwei fünf null null, Westerly Hills Drive«, schnarrte es aus dem Funkgerät und riß West aus der Ruhe. »Verdächtige Personen auf dem Parkplatz der Kirche.«
»Mist«, sagte West und gab Gas.
Was für ein lausiges Glück. Sie waren gerade auf dem Westerly Hills Drive, und die Jesus Christ Is Lord Glorious United Church of the Living God lag direkt vor ihnen. Der pfingstlich geschmückte, kleine weiße Holzbau der Kirche lag an diesem Abend verlassen da, und als West auf den Parkplatz einbog, war kein Wagen zu sehen. Aber dafür lungerten mehrere Gestalten herum, genauer gesagt, ein halbes Dutzend junge Männer und ihre Mutter im Rollstuhl, die von sich eingenommen und reizbar war. Sie starrten dem Polizeiwagen mit unverhohlenem Haß entgegen. West konnte die Situation noch nicht genau einordnen und befahl Brazil sitzen zu bleiben. Doch er öffnete seine Tür und stieg gleichzeitig mit ihr aus. »Wir haben einen Anruf erhalten...« wandte West sich an Mama. »Gerade vorbeigefahren«, gab Rudof, ihr Ältester, bereitwillig Auskunft.
Mama brachte Rudof zum Schweigen und das mit einem Blick, der töten könnte. »Du wirst niemandem eine Antwort geben«, fuhr sie ihn an. »Hast du mich verstanden? Niemandem!« Noch immer sah sie ihn durchdringend an.
Rudof blickte zu Boden. Seine Hose drohte jeden Moment hinunterzurutschen und ließ einen Streifen der roten Boxershorts sehen. Er war es leid, ständig von seiner Mama heruntergeputzt zu werden und mit der Polizei aneinanderzugeraten. Was hatte er denn getan? Nichts. Er war einfach nur auf dem Heimweg vom Supermarkt. Sie brauchte Zigaretten, und alle hatten sie begleitet, hatten die Gelegenheit zu einem netten kleinen Spaziergang genutzt. Ihr Weg hatte quer über den Parkplatz der Kirche geführt. Was war daran verkehrt?
»Wir haben nichts getan«, ließ Rudof die Cops wissen und kreuzte die Arme vor der Brust.
Brazil wußte, daß eine Schlägerei in der Luft lag. Er spürte schließlich ein aufziehendes Unwetter, noch bevor es zu sehen war. Sein Körper spannte sich. Er taxierte die kleine gewaltbereite Gruppe, die unruhig in der Dunkelheit harrte. Mama rollte auf West zu. Sie hatte etwas im Sinn, das sie schon lange loswerden wollte, und diese Gelegenheit war so gut wie jede andere. Ihre Kinder würden gehorchen, und diese beiden Polizisten sahen nicht aus, als würden sie ohne Not jemandem etwas antun.
»Wir sind gerade erst hier angekommen«, sagte Mama zu West. »Wir sind ganz normal auf dem Nachhauseweg. Ich bin es leid, von euch ständig verfolgt zu werden.«
»Niemand ver.« nahm West einen zweiten Anlauf. »Und ob. Und ob. Das tun Sie doch.« Mama wurde immer lauter und zorniger. »Das ist ein freies Land! Glauben Sie, jemand hätte die Polizei gerufen, wenn wir weiß wären?«
»Da könnte durchaus etwas dran sein«, konterte West geschickt. Mama war verblüfft, und ihre Kinder begriffen gar nichts mehr. Daß eine weiße Polizistin so etwas zugab, war unerhört, fast ein Wunder.
»Sie stimmen mir also zu, daß man Sie gerufen hat, weil wir Schwarze sind?« wollte Mama bestätigt haben.
»Das könnte ich mir durchaus vorstellen, und ich finde das absolut nicht fair. Allerdings wußte ich nicht, daß Sie Farbige sind, als uns der Ruf über Funk erreichte«, fuhr West in ruhigem, aber bestimmtem Ton fort. »Wir haben den Einsatz nicht übernommen, weil wir glaubten, daß Sie schwarz, weiß, gelb oder was auch immer sind, sondern weil es unser Job ist. Wir wollten uns vergewissern, daß alles in Ordnung ist.«
Mama rollte weiter, ihre Brut im Schlepptau. Sie versuchte, ihren Haß aufrechtzuerhalten. Aber sie war unsicher geworden. Sie spürte, wie ihr die Tränen kamen, und wußte nicht, warum. Die Polizisten gingen zu ihrem neuen, glänzend polierten Auto zurück und fuhren davon.
»Rudof, Sohn, zieh deine Hose hoch«, mahnte Mama mit klagendem Unterton. »Du wirst noch stolpern und dir das Genick brechen. Das gilt auch für dich, Joshua. Das schwör ich dir.« Sie rollte durch die Nacht zurück in ihre ärmliche Behausung. Schweigend fuhren Brazil und West zum Wilkinson Boulevard zurück. Ihm ging noch einmal durch den Kopf, was sie zu diesen Leuten gesagt hatte. Wir hatte
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