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Die Hornisse

Die Hornisse

Titel: Die Hornisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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daß er auf dem Weg sei.
    Je länger Panesa im Zeitungsgeschäft war, desto paranoider war er geworden. Wie Brazil hatte auch er als Polizeireporter angefangen, und mit dreiundzwanzig waren ihm keine Niederträchtigkeit, Gemeinheit und kein Schmerz mehr fremd, die Menschen einander zufügen konnten. Er hatte über massakrierte Kinder geschrieben, über Schießattacken aus fahrenden Autos und über Ehemänner in schwarzen Handschuhen und Strickmützen, die ihre getrennt lebenden Ehefrauen und deren Liebhaber meuchelten, ihnen die Kehlen durchschnitten und anschließend seelenruhig einen Ausflug nach Chicago machten. Panesa hatte mit Ehefrauen gesprochen, die ihre Männer bekochten und deren Mahlzeiten liebevoll mit Arsen würzten. Er hatte über Autounfälle, Flugzeugabstürze und Zugentgleisungen berichtet, über mißlungene Fallschirmsprünge und ebenso mißlungene Tauchgänge, über einen betrunkenen Bungeespringer, der das Seil anzulegen vergessen hatte, über Brandstiftungen und Morde durch Ertränken. Ganz zu schweigen von all den Horrorszenarien, die nicht tödlich geendet waren. Seine Ehe, zum Beispiel.
    Panesa arbeitete sich hektisch durch den Innenstadtverkehr. Wie ein Bulldozer walzte er vorwärts, scherte aus und wieder ein, überholte mal links, mal rechts. Zur Hölle mit allen anderen Autofahrern. Er hupte und hupte. Aus dem Weg mit euch! Er würde auch heute zu spät kommen, wie immer. An diesem Abend war er mit Judy Hammer verabredet, die offenbar mit einem Volltrottel verheiratet war. Hammer vermied es, soweit irgend möglich, sich mit ihrem Mann in der Öffentlichkeit zu zeigen, und wenn Panesa den Gerüchten Glauben schenkte, konnte man ihr daraus keinen Vorwurf machen. Bei dem Bankett heute abend sollte der von der US-Bank gestiftete Preis für Öffentlichkeitsarbeit verliehen werden, und vorgesehen für diese Ehrung waren sowohl Panesa als auch Hammer, außerdem District Attorney Gorelick, die in letzter Zeit häufig in den Medien erwähnt worden war. So hatte sie zum Beispiel scharfe Kritik an der General Assembly von North Carolina geübt, weil diese nicht genügend Geld herausrückte, um siebzehn weitere Stellvertretende D.A.s einzustellen. Zudem stand eindeutig fest, daß die Region Charlotte-Mecklenburg dringend ein oder zwei weitere Gerichtsmediziner benötigte. Das Bankett fand im Carillon mit seinen wunderbaren Gemälden und seiner erlesenen Einrichtung statt. Und Panesa würde fahren.
    Hammers Privatwagen war ein nicht ganz neuer Mercedes, der nur auf der Fahrerseite einen Airbag besaß. Panesa, das war von vornherein klar, würde sich niemals in einen Wagen setzen, der nicht auch auf der Beifahrerseite mit einem Airbag ausgerüstet war. Auch Hammer eilte heute früher als sonst vom Büro nach Hause. Seth arbeitete im Garten, zupfte Unkraut und verteilte Dünger. Er hatte Plätzchen gebacken, wie Hammer an dem Duft von geschmolzener Butter und Zucker erkannte. Auf der Arbeitsplatte zeugten verräterische Mehlspuren noch von der Aktion. Seth winkte ihr mit einer Handvoll wilder Zwiebeln zu, als sie aus dem Küchenfenster zu ihm hinaussah. So höflich war er immerhin. Sie eilte in ihr Schlafzimmer. Großer Gott, das Bild, das ihr aus dem Spiegel entgegensah, war erschreckend. Sie wusch sich das Gesicht, verteilte alkoholfreies Styling Gel auf ihren Handflächen und knetete es sich ins Haar. Sie schminkte sich komplett neu. Diese hochoffiziellen gesellschaftlichen Anlasse brachten stets Probleme mit sich. Männer besaßen vielleicht gerade einen Smoking, den sie zu jeder entsprechenden Gelegenheit trugen, oder sie liehen sich einen. Und was wurde von Frauen erwartet? Bis zu ihrer Ankunft zu Hause, wo es wie in einer Bäckerei roch, hatte sie noch keinen Gedanken an ihre Abendgarderobe verschwendet. Sie zog einen schwarzen Satinrock aus dem Schrank, dazu ein mit schwarzen und goldenen Perlen besticktes taillenkurzes Jäckchen und ein schwarzes Seidentop mit Spaghettiträgern. Leider hatte Hammer zwei Kilo zugenommen, seit sie dieses Ensemble zum letztenmal getragen hatte. Wenn sie sich recht entsann, mußte das vor etwa einem Jahr gewesen sein, anläßlich der Jaycee's-Spendenaktion in Pineville. Es gelang ihr zwar, den Knopf des Rocks zu schließen, aber glücklich war sie nicht. Ihr Busen kam üppiger zur Geltung, als ihr lieb war, denn sie zog nicht gern Aufmerksamkeit auf etwas, das sie normalerweise für sich behielt. Verunsichert warf sie sich das Perlenbolero über die Schultern.

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