Die Hornisse
Appetit verschlägt. Können Sie sich vorstellen, was das für eine Wirkung hat, wenn Sie um acht Uhr abends nach einem höllischen Tag zur Tür hereinkommen und Ihren Mann mit der dritten Schüssel Chili con Carne vor dem Fernseher bei >Ellen< vorfinden?«
Dann stimmten die Gerüchte also. Hammer tat ihm leid. Wenn der Herausgeber des Charlotte Observer nach Hause kam, fand er nur eine Haushälterin vor, und die hatte Hühnerbrüstchen und Spinatsalat für ihn zubereitet. Wie grausam für Hammer. Panesa sah zu seiner Begleiterin in Satin und Perlen hinüber. Er wagte es, Hammer besänftigend die Hand zu tätscheln. »Das klingt absolut grauenvoll«, sagte er mitfühlend.
»Ich muß tatsächlich ein paar Kilo abnehmen«, gestand Hammer. »Bei mir setzt es immer um die Mitte an, nicht an den Beinen.«
In der Nähe des Carillon fing Panesa an, nach einem Parkplatz Ausschau zu halten, und fand auch einen vorm Morton's of Chicago Steak House. Dort liefen die Geschäfte offensichtlich auch ohne sie nicht schlecht.
»Vorsicht mit Ihrer Tür. Tut mir leid«, sagte Panesa. »Ich bin etwas zu nah an die Parkuhr herangefahren. Einwerfen muß ich wohl nichts mehr?«
»Nicht nach achtzehn Uhr«, sagte Hammer, die es schließlich wissen mußte.
Sie dachte, wie nett es sein könnte, einen Freund wie Panesa zu haben. Und Panesa dachte, wie nett es sein könnte, mit Hammer zum Segeln zu gehen oder zum Wasserskilaufen, mit ihr zu lunchen oder Weihnachtseinkäufe zu machen. Oder auch nur mit ihr am Kaminfeuer zu sitzen und zu reden. Auch mit ihr ein paar Gläschen zuviel zu trinken, war ihm einen Gedanken wert. Normalerweise war Alkohol ein Problem für den Herausgeber einer landesweit renommierten Zeitung oder den Chief eines hervorragenden Police Departments. Hammer hatte es hin und wieder zusammen mit Seth übertrieben, aber das fiel nicht weiter ins Gewicht. Er aß. Sie kippte um. Panesa betrank sich allein, und das war schlimmer, besonders wenn er dabei vergaß, den Hund wieder ins Haus zu lassen. Sich zu betrinken, hatte etwas mit einem Sich-aus-der-Wirklichkeit-Beamen zu tun und war eine Frage des Zeitpunkts. Hammer hatte nie mit einem Menschen darüber gesprochen. Dasselbe galt für Panesa. Auch hatte keiner von ihnen bis dahin einen Therapeuten aufgesucht. Daher war es besonders überraschend, daß beide nach dem dritten Glas Wein auf dieses Thema zu sprechen kamen. Unterdessen hielt jemand von der US Bank eine salbungsvolle Ansprache über ökonomische Initiativen in Charlotte, die Entwicklung der Stadt, die Ansiedlung neuer Firmen und die nicht existente Kriminalitätsrate. Panesa und Hammer hatten ihren Lachs mit Dillsauce kaum angerührt. Sie gingen gleich zum wilden Truthahn über. Bei beiden hatte die Entgegennahme ihrer Auszeichnung keinen sonderlich tiefen Eindruck hinterlassen, doch alle Anwesenden bei der Party fanden Hammer und Panesa lebhaft, geistreich, freundlich und redegewandt.
Auf dem Heimweg kam Panesa der verwegene Gedanke, seinen Wagen einfach in Dilworth beim Latta Park abzustellen, die Scheinwerfer auszuschalten und sich bei laufender Musik mit ihr zu unterhalten. Auc h Hammer war nicht in der Stimmung, nach Hause zu gehen. Panesa war bewußt, daß dem Nach-Hause-Gehen nur allzubald das Aufstehen und der Weg zur Arbeit folgen würden. Seine Karriere war längst nicht mehr so interessant wie früher, das mußte er sich eingestehen. Seine Kinder waren beschäftigt und führten ihr eigenes Leben. Panesa traf sich gelegentlich mit einer Rechtsanwältin, die sich gern Videobänder von TV-Gerichtsverhandlungen ansah. Anschließend trug sie dann vor, was sie anders gemacht hätte, und Panesa wünschte sich weit fort.
»Ich glaube, ich sollte jetzt gehen«, meinte Hammer, nachdem sie sich etwa eine Stunde lang in dem unbeleuchteten Volvo unterhalten hatten.
»Sie haben recht«, sagte Panesa. Auf dem Rücksitz lag seine Auszeichnung, und in seinem Herzen machte sich ein Gefühl der Leere breit. »Ich möchte Sie etwas fragen, Judy.«
»Bitte«, sagte Hammer.
»Haben Sie ein oder zwei Freunde, nur so zum Vergnügen?« »Nein.«
»Ich auch nicht«, gestand Panesa. »Finden Sie das nicht ziemlich unverständlich?«
Hammer dachte einen Moment nach. »Nein«, sagte sie schließlich. »Ich hatte nie einen oder zwei Freunde, wenn ich es genau bedenke. Nicht in der Grundschule, wo ich die Beste im Kickball war. Nicht auf der Highschool, wo ich gut in Mathe und Schulsprecherin war. Nicht am College und nicht
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