Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
auch schuldig, es war mir peinlich.
Seine Finger zogen langsam die Decke herab.
»Nicht, Roy«, stammelte ich und zitterte noch mehr. Mit dem rechten Arm hielt ich die Decke fest.
»Ich weiß, dass ich das nicht tun sollte, Rain. Aber ich kann nicht anders, ich sehne mich so danach, dich anzuschauen. Du bist so schön geworden. Ich fühlte mich wie eine Wolke über einem Garten, in dem du erblühtest. Wir müssen anfangen, es versuchen und sehen, ob wir es können«, sagte er.
Meine Finger entspannten sich, als hätten sie einen eigenen Willen, als er die Decke zuerst bis zum Scheitelpunkt meines Busen zog und dann, nach einem Blick in meine Augen, über die Brustwarzen herunter, die aufrecht standen, um seine Blicke willkommen zu heißen. Ich fühlte mich wie ans Bett gefesselt, außer Stande mich zu rühren.
»Du bist so schön, Rain.«
Langsam, ganz langsam, den Blick auf mich gerichtet, bis er mir nicht mehr in die Augen sehen konnte, senkte er die Lippen auf meine Brüste und küsste mich so sanft, dass ich mir nicht sicher war, ob er es überhaupt getan hatte. Dann stupste er meinen Busen mit der Nase an und küsste die Seiten der Brüste, bevor er den Kopf hob, um seine Lippen auf meine zu legen. Es war kein langer Kuss, aber einer, der mir einen Schauer die Wirbelsäule entlangjagte. Als er den Kopf hob, schaute er völlig verwirrt drein.
»Warum weinst du?«, fragte er.
Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass mir Tränen über das Gesicht strömten.
»Ich kann nichts dafür«, sagte ich. »Ich kann es nicht ändern, aber ich habe das Gefühl, das ist ganz falsch, Roy.«
»Wir haben nichts Schlechtes getan.« Er griff nach meinem Kinn, damit ich mich wieder ihm zuwenden und ihn anschauen musste. »Ich habe überhaupt nichts Schlechtes oder Verbotenes getan. Du und ich, wir sind nicht blutsverwandt. Wir hätten uns irgendwo anders kennen lernen können, und das wäre dann okay, stimmt’s?«
»Aber wir haben uns nicht anderswo getroffen, Roy. Wir haben mein ganzes Leben lang und fast dein ganzes Leben lang als Bruder und Schwester zusammengelebt«, sagte ich und zog die Decke wieder hoch. »Ich kann nicht ändern, wie ich empfinde.«
»Es war aber doch anders jetzt, oder? Jetzt gerade war es doch eine ganz andere Sache, stimmt’s?«
»Natürlich war es anders.«
Er nickte ernst.
»Vielleicht wirst du auch anders darüber denken.«
»Ich weiß nicht, Roy. Ich habe Angst«, gestand ich.
»Klar«, meinte er und tätschelte meine Hand. »Klar, das ist verständlich. Die Wahrheit ist, ich habe auch Angst, aber ich kann es nicht ändern, wie ich für dich empfinde, Rain, und was ich immer gefühlt habe.«
»Mama wäre völlig außer sich, Roy.«
»Vielleicht zuerst, aber später nicht mehr«, sagte er. Dabei hörte er sich an wie jemand, der eher sich selbst als mich zu überzeugen versucht. Er lächelte und stand auf. »Ich muss zur Arbeit gehen. Ist mit dir alles in Ordnung?«
Ich nickte, obwohl mein Herz immer noch so hart und schnell klopfte, dass ich glaubte, in Ohnmacht zu fallen.
»Gut. Alles wird gut«, versicherte er mir. »Du wirst schon sehen. Möchtest du irgendwas, brauchst du irgendwas?«
»Nein, danke.«
»Bis später«, sagte er und ging hinaus. In der Tür blieb er stehen, um sich umzuschauen. »Gib mir nicht die Schuld an meinen Gefühlen«, bat er, dann war er weg.
Wem sollte ich die Schuld an meinen eigenen Gefühlen geben, fragte ich mich. Ich wünschte mir so sehr, dass jemand mich so liebte, wie Roy es tat. War es möglich, dass seine Liebe zu mir so stark, so kraftvoll und überwältigend war, dass sie Jahre des Geschwisterseins auslöschen konnte? Kann jemand dich so sehr lieben, dass du nicht anders kannst, als dich in ihn zu verlieben?
Vielleicht lag es daran, dass ich mich nie für jemanden in der Schule interessiert hatte? Vielleicht hatte ich wie Roy tief in mir etwas, das mir sagte, dass zwischen uns mehr war oder sein könnte. Viele Mädchen wünschen sich einen Freund, der so nett ist wie ihr großer Bruder. Vielleicht hatte ich ja Glück. Meiner konnte mein großer Bruder sein.
Oder vielleicht war dieser Kitzel in mir kein Kitzel der Erregung, sondern Furcht. Roy hatte Recht.Wir hätten uns ebenso gut irgendwo anders kennen lernen können und hätten uns dann ineinander verliebt, aber das hatten wir nicht, und mein ganzes Leben lang hatte ich geglaubt, in unseren Adern fließe das gleiche Blut. Das war etwas, das ich nicht binnen eines Augenblicks vergessen
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