Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
kaum von der Richtung ab, die wir ansteuerten.
Ich war noch nie in Georgetown gewesen, wusste aber, dass es dort viele schicke Restaurants und Geschäfte gab, denn die Bevölkerung bestand hauptsächlich aus Akademikern. Mama hatte die Adresse aufgeschrieben. Keine von uns hatte Erfahrung darin, in der Stadt herumzufahren. Mama war sehr nervös, aber sie versteckte es gut und gab sich den Anschein eines Menschen, der genau wusste, wo er hinwollte und wie er dorthin gelangte. Als wir zur Haltestelle kamen, las ich die Karte an der Wand, und wir fuhren los.
»Wie hast du sie dazu gebracht, sich mit uns zu treffen, Mama«, fragte ich, »wenn es Ken nicht einmal gelungen ist, mit ihnen zu sprechen?«
»Mütter sprechen eine andere Sprache«, murmelte sie. Ich lächelte in mich hinein, und sie schaute mich an. »Wenn du hörtest, wie Ken dir am Telefon Forderungen stellt, würdest du dann mit ihm sprechen wollen?«
»Nein«, gab ich lachend zu.
Mama drückte meine Hand, um mich zu beruhigen.Wir fuhren weiter, ohne viel zu sagen. Unsere Gedanken waren zu verwirrt und unsere Nerven zu angespannt.
»Wo treffen wir sie, Mama?«, fragte ich, als wir an der Haltestelle ankamen. Sie schaute auf ihren Notizzettel.
»Café St. Germain«, erwiderte sie, sprach es allerdings aus wie Café St. German. Dann fragte sie: »Was zum Teufel ist das?«
»Ein französisches Restaurant, Mama.«
»Französisch? Ich glaube nicht, dass ich außer Fritten jemals etwas Französisches gegessen habe«, sagte sie.
Ich lachte. Das löste die Spannung zwischen uns. Ich holte tief Luft und schaute mich auf der Straße um. Es gab dort Modegeschäfte, in deren Schaufenstern teuer aussehende
Kleidung und Schuhe ausgestellt waren, Feinkostgeschäfte, Confiserien, Restaurants und Cafés, in denen die Menschen in Patios saßen, sich unterhielten und aßen. Jeder wirkte glücklich und erfolgreich. Wie anders war das alles als die Straßen rund um unsere Wohnung.
»In welche Richtung?«, fragte Mama sich laut. Sie drehte sich ein bisschen hektisch um. »Wir kommen noch zu spät.«
»Hier entlang, Mama«, sagte ich, als ich auf die Hausnummern geschaut hatte. Ein paar Minuten später standen wir vor dem Café St. Germain.
Durch die hohen Vorderfenster sahen wir sehr elegant gekleidete Leute. Die meisten Männer trugen Jacketts und Krawatten. Die Frauen waren so mit Juwelen behängt, dass sie glitzerten wie Weihnachtsbäume. Alle hatten modische Frisuren. Ihre Kleidung wirkte noch teurer als die Juwelen. Vermutlich wurde jeder berühmte Designer von jemandem dort drinnen repräsentiert. Selbst die Kellner wirkten edel in schwarzen Hosen, weißen Hemden und schwarzen Fliegen. Eine Empfangsdame, die dem Titelblatt eines aktuellen Modemagazins entstiegen sein könnte, stand in der Nähe des Eingangs und telefonierte.
Mama sah aus, als hätte sie dieser Anblick auf dem Bürgersteig festgenagelt. Sie musste heftig schlucken und umklammerte ihre Handtasche. Anscheinend hätte sie sich am liebsten umgedreht und wäre zum Zug zurückgerannt.
»Weißt du, wie sie aussieht, Mama?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Dann weiß sie auch nicht, wie wir aussehen«, dachte ich laut.
»Sie sagte mir, ich soll einfach nach Megan Hudson Randolphs Tisch fragen«, erklärte Mama.
Ich schaute wieder durchs Fenster und suchte nach einer allein sitzenden Frau.
»Wir sind nicht zu spät«, sagte Mama. »Wir kommen rechtzeitig. Lass uns hineingehen, Schätzchen.«
Sie raffte ihren Mut zusammen und zog ihre schmalen Schultern hoch, bevor sie durch die Tür trat. Ich folgte ihr. Die Empfangsdame schaute mit einem halb amüsierten, halb verächtlichen Gesichtsausdruck auf. Ich hatte das Gefühl, alle im Restaurant hielten in ihrer Unterhaltung inne und blickten in unsere Richtung. Plötzlich fühlte sich meine Strickjacke wie ein Lumpen an, und ich war noch nie so befangen gewesen wegen meiner ramponierten Schuhe. Mama hielt den Blick auf die Empfangsdame gerichtet.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie, bevor wir zu ihr gelangten, als wollte sie uns mit ihren Worten aufhalten oder einen Schutzwall errichten.
»Wir sind hier, um uns mit Megan Hudson Randolph zum Lunch zu treffen«, sagte Mama.
Das amüsierte Lächeln der jungen Frau erstarrte zu Plastik. Sie schüttelte leicht den Kopf, vielleicht um sich die Worte in ihren mit Diamantenclips geschmückten Ohren noch einmal anzuhören.
»Mrs Randolph?«
»Ja, genau«, bestätigte Mama energisch. »Wir sind nicht zu
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