Die Hudson Saga 02 - In dunkler Nacht
vermutlich ganz natürlich. Ich weiß, dass ich das Gleiche getan hätte. Ich habe es aber nie getan. Ich habe es einfach akzeptiert. Vermutlich war ich fatalistischer. Verstehen Sie jetzt, warum es mich zu den Shakespeare-Tragödien hinzieht?«, fügte er lachend hinzu.
»Das Leben ist eine Bühne«, witzelte ich.
Wir standen dort und stierten seine Bücher an,
statt sie wirklich anzuschauen.William wurde unsere Unterhaltung langweilig und er wanderte davon, um seine Schwester zu suchen.
»Leanna weiß also nichts über mich?«
»Noch nicht.«
»Wie haben Sie ihr denn erklärt, dass ich so oft in der Nähe des Hauses war?«, fragte ich.
»Ich sagte ihr, Sie seien sehr schüchtern und hätten nur versucht, genug Mut aufzubringen, mich anzusprechen«, erwiderte er.
Ich schaute ihn misstrauisch an.
»Irgendwie erwarte ich nicht, dass sie das glaubt.«
»Vermutlich nicht. Ich werde ihr alles erzählen. Ich wollte, dass sie Sie erst so kennen lernt.«
»Es hat doch keinen Sinn, es ihr zu erzählen. Ich will ganz bestimmt nicht für das Unglück irgendeines anderen verantwortlich sein. Wahrscheinlich werde ich nach der Schule sowieso nicht in London bleiben.«
»Aber Sie werden oft hierher kommen, bis die Schule endet«, sagte er, als sei das jetzt erforderlich.
»Ich weiß nicht.«
»Aber sicher.«
Alexandra betrat die Bibliothek mit William im Schlepptau.
»Also«, sagte mein Vater jetzt lauter, »London ist voll von Buchhandlungen mit sehr alten und kostbaren Erstausgaben. Es macht Spaß, am Wochenende auszugehen und die Stapel zu durchwühlen auf der Suche nach dem großen Fund. Dieser Dickens beispielsweise«, sagte er und zog ein Buch aus dem Regal,
»ist fast zweitausend Pfund wert. Ich habe ihn für zwölf gekauft.«
»Mummy sagt, sie ist im Garten«, verkündete Alexandra.
»Ja, sicher.Wir sollten wieder nach draußen gehen. Es ist so schön, und Leanna will Ihnen ihren Garten zeigen. Sie ist ziemlich stolz darauf.«
»Ich habe ihr geholfen, die Bells of Ireland zu pflanzen«, prahlte William. MeinVater lachte und fuhr seinem Sohn übers Haar.
»Mr Grüner Daumen persönlich«, verkündete er. William strahlte und nahm ihn bei der Hand. Die Liebe zwischen ihnen war förmlich greifbar.Wie ich meine Halbschwester und meinen Halbbruder beneidete.
Leanna führte mich durch den Garten und erklärte mir die verschiedenen Pflanzen. Sie sprach über sie, als wären es auch ihre Kinder, eine ausgedehnte Familie, die sie mit Liebe und Fürsorge überhäufte.
»Es ist alles so schön«, sagte ich.
»Wir haben so viel Gelegenheit, Schönheit in die Welt zu bringen, wenn wir nur die Geduld aufbringen, sie zu pflegen«, sagte sie mir. Sie schaute zurück zu meinem Vater, der mit Alexandra am Tisch saß und uns beobachtete. »Sie haben einen ziemlichen Eindruck auf meinen Mann gemacht. Er ist nämlich sehr wählerisch, welche Studenten er nach Hause einlädt. Aber wenn ich ihn richtig verstanden habe, kennen Sie einander noch gar nicht lange.«
»Nein«, sagte ich. In ihrem Garten mitten unter so
viel Natur und Schönheit fühlte ich mich hinterlistig und hässlich. »Aber ich weiß seine Einladung wirklich sehr zu schätzen.«
»Sie haben also nicht viel Familie, nicht wahr?«
»Nein. Ich habe einen Bruder, der in der Armee ist, stationiert in Deutschland. Vielleicht kommt er mich besuchen.«
»Einen Bruder? Wohnt er auch bei Ihrer Großmutter?«, fragte sie.
»Nein. Nur ich. Jetzt«, fügte ich hinzu. Ich lächelte sie an. »Das ist keine besonders glückliche Geschichte. Ich würde sie lieber für ein anderes Mal aufsparen. Heute fühle ich mich so wohl.«
»Ja, natürlich«, sagte sie. »Das verstehe ich, und ich freue mich, dass Sie den Tag bei uns genießen. Sie sind ein sehr hübsches Mädchen, Rain, und mir gefällt Ihr Name so gut. Für mich als Gärtnerin ist Regen sehr wichtig. Er ist erfrischend. Er reinigt und regt das Wachstum an. Bestimmt passt Ihr Name gut zu Ihnen«, fügte sie hinzu.
»Danke.«
Sie lachte und legte mir den Arm um die Schultern, um mich kurz an sich zu drücken.
Als wir in den Patio zurückkehrten, erinnerte ich sie daran, dass ich gerne eines ihrer Gedichte hören würde, und sie brachte ihre jüngste Veröffentlichung mit, was William glücklich machte, weil es sich um das Gedicht mit dem Titel »Der Clown« handelte. Sie setzte sich hin, und wir alle scharten uns am Tisch um sie. Mein Vater strahlte vor Stolz.
Sie begann mit weicher melodischer Stimme.
Die
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