Die Hudson Saga 03 - Dunkle Träume
wiederzukommen.Vielleicht glaubte er, es lohnte sich, mich noch einmal zu verführen.
Mir stand der Mund vor Überraschung offen, als ich entdeckte, dass es Tante Victoria war.Wann hatte sie beschlossen zu klingeln, statt einfach hereinzuplatzen?
»Ich möchte gerne mit dir sprechen«, sagte sie.
Es war bewölkt und kühler, deshalb trug sie einen dunkelblauen knielangen Wollmantel über ihrem grauen Kostüm. Außerdem hatte sie schwarze Lederhandschuhe an. Ihr Haar, das normalerweise einfach mit einer leichten Welle zurückgebürstet war, dass es aussah, wie im letzten Moment erledigt, wirkte jetzt ordentlicher, gepflegter. Mir fiel auf, dass sie auch etwas Make-up aufgelegt hatte und einen hellrosa Lippenstift. Das machte ihre Züge weicher, und dadurch sah ich größere Ähnlichkeiten mit Jake.
»Ich dachte, es sei schon alles gesagt worden«, erwiderte ich.
»Nein. Darf ich hereinkommen oder willst du mich hier draußen stehen lassen?«
»Komm herein«, forderte ich sie mit einem leichten Achselzucken auf.
Sie trat ein und zog ihre Handschuhe aus.
»Hast du Kaffee gekocht?«
»Kaffee? Ja«, sagte ich noch überraschter.
»Gut.«
Ich stand einen Augenblick da, und sie zog die Augenbrauen hoch.
»Möchtest du ihn in der Frühstücksecke trinken?«, fragte ich.
»Gut«, sagte sie und ging schnell den Flur entlang. Die schweren quadratischen Absätze ihrer Schuhe klapperten wie die Schläge eines winzigen Hammers. Sie hatte so lange Beine, dass ihre Füße bei jedem Schritt leicht knacksten.
Ich lief in die Küche und holte eine Tasse.
»Wie war es, für meine Tante und meinen Onkel in London zu arbeiten?«, erkundigte sie sich, während sie den Mantel auszog und auf einen Stuhl legte.
»Es war nicht sehr angenehm«, sagte ich. »Sie haben diesen Sklaventreiber, Mr Boggs, der das Haus wie eine militärische Operation führt. Mit weißen Handschuhen kontrolliert er, ob ordentlich Staub geputzt und poliert worden ist.«
»Das überrascht mich nicht«, meinte sie. »Das einzige Mal, als ich dort war, konnte ich es nicht abwarten, wieder abzureisen. Haben sie immer
noch hinten dieses alberne kleine Cottage, das sie wie eine Art Mausoleum mit Heathers Spielsachen voll gestopft haben?«
Ich erstarrte einen Augenblick.
»Du weißt also darüber Bescheid?«
»Natürlich«, sagte sie. »Als ich dort war, wäre ich fast am Spieß gebraten worden, weil ich es gewagt hatte, es zu betreten.«
»Ja, das ist noch dort«, sagte ich und goss ihr eine Tasse Kaffee ein. »Milch?«
»Danke«, sagte sie.
Bildete ich mir das nur ein oder benahm sich die schreckliche Tante Victoria mir gegenüber wie ein menschliches Wesen?
Ich goss mir selbst eine Tasse ein und setzte mich ihr gegenüber.
»Ich weiß«, fing sie an, »dass ich hier wie die Böse aussehe. So war das schon immer. Immer wenn ein Problem auftauchte und eine harte, aber wichtige Entscheidung getroffen werden musste, rauschte deine Mutter irgendwohin davon und überließ das mir. So war es nur natürlich, dass ich diejenige war, über die manche Leute sich ärgerten. Selbst meine eigene Mutter ärgerte sich über mich«, klagte sie und ihre Stimme schnappte vor untypischer Emotion über.
Mir fiel ein, dass ich sie bei Großmutter Hudsons Beerdigung nicht weinen gesehen hatte, keine einzige Träne. Sie war diejenige, die alles kontrollierte, dafür sorgte, dass alles perfekt organisiert war
bis zu den Parkplätzen für die Autos auf dem Friedhof. Meine Mutter schluchzte und begrüßte mit roten Augen die Trauergäste, umarmte Menschen und ließ sich umarmen. Victoria hingegen wirkte reserviert und schien nicht nur alle Einzelheiten der Beerdigung, sondern auch ihre eigenen Gefühle unter Kontrolle zu haben.
»Ich liebte sie auf meine Weise, wenn es mir gestattet war, sie zu lieben. Wie du aus der kurzen Zeit, die du hier gelebt hast, weißt, war meine Mutter eine sehr starke, dominante Frau. Sie hasste Kompromisse und duldete weder Versagen noch Dummheit. Ich dachte, sie würde mich mehr lieben, weil ich ihr ähnlicher war als Megan, aber weißt du was, Rain? Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass meine Mutter sich selbst nicht besonders mochte. Das stimmt«, sagte sie, als ich die Augen aufriss, »am Ende ihres Lebens hatte sie festgestellt, dass sie das nicht tat. Deshalb entwickelte sie so rasch eine Vorliebe für dich und behandelte dich mit solch einer untypischen Güte.
Vielleicht sah sie in dir eine dritte Tochter, jemand der nicht so weich war
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