Die Hudson Saga 03 - Dunkle Träume
huschten nervös in der Küche umher. »Selbst jetzt rechne ich eigentlich damit, dass sie auftaucht, vielleicht durch die Terrassentür, und einen dieser lächerlichen Gartenhüte aufhat.«
»Ich vermisse sie«, sagte ich.
Meine Mutter nickte.
»Das weiß ich.«
Unsere Blicke trafen sich.Wie sehr wünschte ich mir, wir könnten einander lieben, wie eine Mutter und eine Tochter es sollten.
»Warum lässt du dir von Victoria sagen, was du tun sollst?«, fragte ich.
»Victoria war immer die Praktische, die Vernünftige, Rain. Vielleicht lag das daran, dass sie anders aufgewachsen ist, eine andere Erziehung genossen hat. Mein Vater schickte sie nicht auf ein Internat für Reiche und auch nicht auf eine Schule für höhere
Töchter. Sie ging zur Wirtschaftshochschule und lernte dort alles über Aktien und Fonds und Obligationen und solches Zeug. Ich hingegen lernte die Regeln gesellschaftlicher Etikette, Dinge, die mich auf die gehobene Gesellschaft vorbeeiteten. Vielleicht war ich deshalb auf dem College solch eine Rebellin. Ich habe nichts Praktisches gelernt. Ich war dazu bestimmt, jemanden wie Grant zu heiraten und immer einen Ehemann zu haben, der sich um mich kümmerte und diese Art von Entscheidungen traf.
Bitte denk noch einmal darüber nach, Schätzchen. Wir könnten wirklich eine Familie sein, weißt du.« Mit ihren tränenverhangenen Augen schaute sie mich flehentlich an, ihr sanftes Lächeln verhieß mir, dass mich ein Topf voller Gold am Ende des bald leuchtenden Regenbogens erwartete.
Ich seufzte, denn ich wäre zu gerne die ewige Optimistin gewesen, aber ich glaubte nicht mehr an den Zauber des Regenbogens, besonders wenn sie ihn mir versprach.
»Du hättest mich nicht hierher bringen sollen, Mutter. Großmutter Hudson war einer der wenigen Menschen in meinem Leben, die mich liebten und die ich liebte. Lieben bedeutet auch, jemanden zu ehren und zu respektieren. Das hat sie mich gelehrt. Ich werde nicht ihre Wünsche und Pläne aufgeben, nur um deine Schwester zufrieden zu stellen. Sie hat Großmutter Hudson nie so sehr geliebt wie ich in der kurzen Zeit, in der ich sie kannte.«
Außerstande, das zu leugnen, nickte meine Mutter.
»Ich brauchte dieses Testament nicht, um zu erkennen, wie sehr sie dich liebte, Rain.«
»Dann solltest du es verstehen«, sagte ich. Ich wandte mich von ihr ab, aber sie kam zu mir herüber.
»Du bist ein gutes Mädchen, Rain. Ich wünsche dir wirklich nur das Beste. Ich möchte, dass du glücklich bist und das alles hinter dir lässt. Sei vernünftig. Du bist doch besser dran, wenn du weit weg bist von uns allen«, sagte sie traurig.
Rasch umarmte sie mich und ging dann hinaus. In der Tür blieb sie noch einmal stehen.
»Ruf mich an, wenn du mich brauchst«, sagte sie.
Ich sah zu, wie sie durch die Eingangshalle ging und dann zur Tür hinaus.
»Ich habe dich schon vor langer Zeit gerufen, Mutter«, murmelte ich, nachdem sie gegangen war.
»Aber du hast nicht darauf reagiert.«
KAPITEL 3
Auf dem Wind reiten
D as Telefon klingelte am nächsten Morgen so früh, dass ich dachte, es läutete in meinen Träumen. Wer auch immer anrief, gab nicht auf. Schließlich öffnete ich die Augen und merkte, dass ich mir das nicht nur einbildete. Als ich nach dem Hörer griff, schaute ich auf die Uhr und sah, dass es erst halb sechs war.
»Hallo«, sagte ich mit einer so tiefen und erschöpften Stimme, als spräche jemand anders für mich.
»Rain?«, hörte ich. »Bist du das?«
Ich rieb mir die Wangen und richtet mich im Bett auf.
»Roy?«
»Tut mir Leid, dass ich dich so früh anrufe, aber das ist jetzt die einzige Gelegenheit, vielleicht für Tage«, sagte er. »Wie geht es dir?«
»Fünf Minuten, Arnold«, hörte ich jemanden hinter ihm knurren.
»Roy, wo bist du?«
»Ich bin hier, in Deutschland natürlich. Was geschieht jetzt? Kehrst du nach England zurück?
Hast du mit deiner leiblichen Mutter gesprochen? Weiß jetzt jeder Bescheid? Ich meine, wer du wirklich bist und so?« Er rasselte seine Fragen schnell herunter und versuchte, einen Haufen Informationen in diese mickrigen fünf Minuten zu stopfen.
Natürlich hatten Roy und ich den größten Teil unseres Lebens gedacht, wir wären Geschwister. Jeder, der sich die Zeit genommen und die Mühe gemacht hätte, ihn, mich und Beneatha genau anzuschauen, hätte das vermutlich in Frage gestellt.
Meine Züge unterschieden sich so sehr von Roys und Benis, aber der Gedanke, Mama Arnold hätte mich von einem anderen
Weitere Kostenlose Bücher