Die Hudson Saga 03 - Dunkle Träume
Also, wir müssen dafür sorgen, dass Sie etwas Tempo gewinnen, damit Sie für all die weiblichen Rollstuhlrollen vorsprechen können.«
Ich starrte ihn an, und als ich das spitzbübische Funkeln in seinen Augen sah, lachte ich. Es war, als würde mir eine Last von den Schultern genommen. Wer hätte gedacht, dass ich über mich in diesem Zustand lachen würde? Wer hätte gedacht, dass ich auch nur das Geringste an mir komisch finden würde?
Er lächelte.
»Das ist es«, sagte er. »Das ist das Geheimnis. Sie müssen über alles schließlich lachen. Nur diejenigen, die sich zu ernst nehmen, leiden, leiden wirklich. Ihnen wird es auf tausend verschiedene Arten besser gehen, Rain. Das weiß ich einfach«, beharrte er. Er legte seine Hand auf meine, die auf dem Rollstuhl ruhte, und schaute mir in die Augen, zwang mich, ihm tief in die Augen zu sehen, damit ich merkte, wie aufrichtig er es meinte.
War das nur meine Einbildung oder sah ich noch etwas anderes dort, etwas, das ich sehen wollte? Konnte ein Mann mich je wieder anschauen und schön finden? Wenn man sich selbst nur als halben Menschen wahrnahm, sah einen doch sicher jeder andere auch so.
Er schloss die Augen und wich schnell zurück wie jemand, der wusste, dass er eine Grenze überschritten hatte.
»Wir sollten wohl zum Haus zurückgehen. Mrs Bogart gab mir strikte Anweisungen, wann das Mittagessen serviert wird. Das ist eine Frau, der ich nicht in die Quere kommen will.«
»Bleiben Sie zum Mittagessen?«, fragte ich rasch.
»Laden Sie mich ein?«
»Wenn Sie bleiben möchten, können Sie bleiben«, sagte ich, jede Zurschaustellung von Gefühl vermeidend. Da ich in Beziehungen so oft verletzt worden war, als ich noch gesund war, zögerte ich. Jetzt hatte ich noch mehr Grund dazu.
»Das ist keine besondere Einladung. Mein Ego ist verletzt, aber«, meinte er, packte die Griffe meines Rollstuhls und drehte mich herum, »ich verhungere, deshalb nehme ich das in Kauf.«
Er konnte das Lächeln auf meinem Gesicht nicht sehen, als wir zum Haus zurückfuhren, aber es war da, fest auf meinen Lippen wie die Erinnerung an einen wundervollen sanften Kuss.
Ich erkannte, dass Austin mindestens einen wichtigen Grund dafür hatte, beim Mittagessen anwesend zu sein. Den größten Teil der Zeit verbrachte er damit, mit Mrs Bogart über Essen zu reden. Er glaubte, dass meine Ernährung wichtig sei. Mrs Bogart war nicht glücklich darüber, dass er ihre Speisefolgen in Frage stellte oder ihr irgend etwas vorschrieb, aber Austin hatte eine so unaufdringliche
Art und machte ihr für so viele andere Dinge Komplimente, dass sie ihn, wenn auch zögernd, anlächelte, als das Mittagessen vorüber war, nickte und ihn anerkennend anschaute.
»Dieser junge Mann kennt sich aus«, teilte sie mir hinterher mit. »Ich habe im Laufe der Zeit einige erbärmliche Exemplare von Therapeuten gesehen. Glauben Sie mir, es ist wichtig, einen guten zu haben.«
Austin hatte Anweisungen für Übungen hinterlassen, die ich durchführen sollte, wenn er nicht da war. Er wollte, dass ich dreimal am Tag mindestens zehn Minuten an der Beinmaschine arbeitete. Mrs Bogart schwebte über mir, wenn ich mich vom Rollstuhl auf die Maschine hievte, aber ich bestand darauf, was immer ich konnte, selbst zu tun. Nichts verfolgte mich so wie Dr. Snyders Warnung, von niemandem abhängig zu werden. Unabhängigkeit war der Schlüssel zu einer wirklichen Erholung.
Selbst wenn es bedeutete, dass ich zehnmal so lange brauchte, um etwas selbst zu erledigen, würde ich es selbst tun. Schnell lernte ich, jeden Morgen selbst aus dem Bett aufzustehen, mich selbst anzukleiden und, so schmerzhaft und unbeholfen es auch war, mir selbst Schuhe und Strümpfe anzuziehen.
Manchmal war ich so erschöpft, dass ich im Rollstuhl einschlief, den Kopf herunterhängend, die Arme baumelnd, und wenn ich zwanzig Minuten oder eine Stunde später wieder aufwachte, hatte ich
Schmerzen an ungeahnten Stellen. Mrs Bogart zog sich zurück, wartete im Hntergrund oder manchmal stand sie einfach vor meiner Tür und lauschte. Vielleicht hoffte sie, ich würde nach ihr rufen und mich stärker auf sie verlassen, aber ich rief sie nur, wenn es absolut notwendig war. Bei manchen Dingen war ich noch ängstlich, wie beispielsweise in die Badewanne zu steigen und wieder heraus; dabei brauchte ich ihre Unterstützung.
In den ersten zwei Wochen sollte Austin jeden Werktag kommen. Es kam so weit, dass ich mich auf seine Ankunft mehr als auf alles andere
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