Die Hudson Saga 03 - Dunkle Träume
der Fingerspitze so fest dagegen, dass ich zusammenzuckte. »Man muss die Erfahrungen nutzen können.
Das konnte sie nie und wird sie auch nie. Du aber, Rain, kannst es, das weiß ich«, sagte sie und klang, als appellierte sie an mich, dass wir gute Freundinnen werden. »Ich kann dir einige Ratschläge geben, die du schätzen wirst.
Hör mir zu«, verlangte sie wütend. »Männer sind Raubtiere, Mitgiftjäger, ständig bereit zuzuschlagen.
Ich bin ihnen selbst zum Opfer gefallen«, enthüllte sie und schaute dann beiseite.
Das Schweigen war so tief und so lastend, dass ich hörte, wie Wasser durch ein Rohr auf der anderen Seite des Hauses rann.
»Was meinst du damit, du bist ihnen zum Opfer gefallen?«, fragte ich schließlich.
Sie stieß ein Lachen aus, das wahnsinnig klang. »Er tat so, als sei ich wichtiger für ihn als sie. Er ging sogar so weit, dass er … dass er sich so benahm, als bräuchte er mich in seiner Nähe, bräuchte meinen Trost. Er tat mir Leid, und ich kümmerte mich um ihn. Was glaubst du, wer hat den größten Beitrag zum Wahlkampf geleistet?«
»Du meinst Grant? Ist zwischen dir und Grant etwas vorgefallen?«
Sie nickte nicht, aber ihre Augen sagten ja.
»Weiß meine Mutter davon?«
Sie lachte wieder.
»Deine Mutter weiß nicht einmal, in welchem Zimmer sie sich befindet. Sie weiß nichts von Grant und mir. Bestimmt ist Grant oft fremdgegangen.«
»Wie kannst du einen Mann respektieren, der lügt und betrügt, der keine Ehre und keine Integrität besitzt?«, fragte ich.
»Wie kann er denn anders als zu Tode gelangweilt sein bei einer Frau, die so seicht ist wie sie?«, entgegnete sie. »Das würde die Geduld und die Integrität jedes Mannes auf die Folter spannen.«
»Aber mit der Schwester seiner eigenen Frau!«
»Ich will nicht mehr daran denken«, erwiderte sie, statt zu antworten. Sie wirkte beunruhigt, wich meinem Blick aus.
Sagte sie die Wahrheit oder sprach sie eine Fantasie aus? In meinem Leben und meiner Umgebung waren schon befremdlichere Dinge passiert.
»Jetzt hör mir zu«, fuhr sie fort und kehrte zu ihrer ursprünglichen vehementen Attacke zurück. »Ich möchte, dass du sofort einen anderen Therapeuten bekommst, eine verantwortungsbewusste ältere Person.«
»Diese Diskussion hatten wir bereits, Tante Victoria.«
»Du bist närrisch, Rain.« Sie machte eine Pause, starrte einen Augenblick vor sich hin und nickte dann. »Schau dich doch selbst im Spiegel an. Welcher gut aussehende, gesunde Mann würde sich deinetwegen und nicht wegen deines Reichtums in dich verlieben? Sei doch nicht blind und dumm.«
Kalte Tränen erstarrten in meinen Augen, bewölkten meine Sicht. Diese Ängste schwelten bereits unter der Oberfläche meiner Hoffnungen. Ich brauchte sie nicht, um mich daran zu erinnern.
»Das ist nicht dein Problem«, sagte ich mit brechender Stimme.
»Doch, natürlich ist es mein Problem. Dank meiner Mutter sind wir jetzt Partner.Wenn du mit jemandem eine Beziehung eingehst, gehe ich auch mit ihm eine Beziehung ein.«
»Oh, das ist es also. Du machst dir wieder Sorgen darum, was unterm Strich übrig bleibt, diese Darlegung des Reingewinns, die du wie eine Fahne hin und her schwenkst, diese Dokumente, die du hinter dem Rücken meines Anwaltes unter meiner Tür durchschiebst.«
»Ich tue nichts dergleichen. Es tut mir Leid, dass du die Vollmacht nicht unterzeichnet hast. Das würde es so viel leichter machen, und du würdest nicht mehr mit dem ganzen Papierkram behelligt. Du weißt, dass alles, was ich dir gegeben habe, von deinem Anwalt begutachtet und gebilligt worden ist. Es kommt alles so, wie ich es vorhergesagt habe. Ich werde meiner Verantwortung in unser beider Interesse gerecht. Du solltest mehr Vertrauen zu mir haben. Erst letzte Woche habe ich eine Investition für uns getätigt, die...«
»Das interessiert mich nicht«, unterbrach ich sie schnell. »Mein Anwalt möchte nicht, dass ich die Vollmacht unterschreibe.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Jedes Mal, wenn ich glaube, es gäbe eine Chance, dass du mir ähnlicher bist als Megan, gehst du hin und zerstörst diese Vorstellung. Ich warne dich, Rain. Wenn dieser Mann, dieser Therapeut, dir nachstellt, werde ich mit oder ohne Vollmacht die nötigen Schritte ergreifen.«
»Hör bitte auf«, bettelte ich. Die Tränen kamen jetzt schneller. »Hör einfach auf.«
Sie nickte.
»Okay.« Sie machte eine Pause und holte tief Luft, wobei sich ihre schmalen, dünnen Schultern hoben und senkten, dann
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