Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes
war in seinem Arbeitszimmer und telefonierte. Er schaute zu mir hoch und wandte sich dann ab, um anzudeuten, dass er ungestört sprechen wollte.
Ich ging hinaus und sah Mommy an ihrem Lieblingsplatz am See.
»Ist alles mit dir in Ordnung, Mommy?«, fragte ich, als ich näher kam. Sie schaute auf.
Ihr Gesicht war so blass, die Augen blutunterlaufen. Ein heißer Schmerz durchzuckte mein Herz.
»Du solltest dich ausruhen, Schätzchen«, sagte sie fast atemlos.
»Mir geht es gut, Mommy. Aber du wirst noch krank. Beinahe hätte ich es geheim gehalten, weil ich Angst vor dem hier hatte. Jetzt wünschte ich, ich hätte es getan«, stöhnte ich.
»Oh nein, Schätzchen. Nein, sag so etwas nicht. So etwas kannst du sowieso nicht für dich behalten. Es würde schrecklich an dir nagen.«
»Du sitzt hier und gibst dir und deinem Fluch die Schuld daran, stimmt’s?«
Sie lächelte und holte tief Luft. Dann schaute sie auf den See hinaus und redete leise, fast wie mit sich selbst.
»Als ich erfuhr, dass deine Großmutter Megan meine Mutter war und dass sie mit einem Afroamerikaner im College zusammen gewesen war, war ich nicht nur außer mir wegen der Tatsache, dass Mama Latisha nicht wirklich meine Mutter war. Ich hatte auch schreckliche Angst. Da gab es nicht nur diese bornierten Weißen, die sagten, ein Kind aus einer gemischtrassigen Beziehung sei ein wahrer Gräuel, sondern auch bornierte Schwarze, die genauso empfanden.
Nachdem ich die Wahrheit erfahren hatte, erwartete
ich wohl einfach, dass Ärger mich ein Leben lang begleiten würde. Als mir oder den Menschen, die ich liebte, schreckliche Dinge widerfuhren, fühlte ich mich natürlich dafür verantwortlich.
Natürlich sagt der kluge und intelligente Teil von mir, dass dies alles sehr albern ist und nur dazu beiträgt, den Hass und den Rassismus zu nähren, die unsere Welt vergiften.«
Sie drehte sich zu mir um.
»Als ich hörte, was dir passiert war, blieb mir fast das Herz stehen und ich wollte, dass es nicht weiterschlug. Ich habe dir nie die Einzelheiten des Todes meiner Stiefschwester erzählt, weil sie so hässlich und schmutzig sind und ich nicht wollte, dass sich diese Scheußlichkeiten in deinem Kopf festsetzten. Eltern wollen ihre Kinder immer vor allem Unangenehmen beschützen. Deshalb machen wir uns solche Sorgen darüber, was ihr seht und tut.
Aber«, meinte sie und drehte sich wieder zum See um, »vielleicht ist das falsch, Summer. Vielleicht ist das völlig falsch. Ich hätte dir mehr erzählen sollen. Ich hätte dich auf die Wölfe dort draußen vorbereiten sollen. Stattdessen lebte ich in der Illusion, unser Geld und unsere idyllische Welt würden einen Schild um dich legen und dich schützen, wo immer du bist und was immer du tust.Vielleicht war es mein eigenes Bedürfnis, zu vergessen und den Kopf in den Sand zu stecken.Vielleicht fühle ich mich deshalb verantwortlich. Ich hätte wissen müssen, dass man sich vor dem Bösen um uns herum
nicht verstecken kann. Ich hätte es wissen müssen«, wiederholte sie und schlug sich mit ihrer kleinen Faust in den Schoß.
»Nein«, murmelte ich. »Du kannst dir doch nicht die Schuld geben, Mommy.«
»Doch«, beharrte sie. »Es gibt vieles, das ich dir hätte erzählen sollen.« Sie machte eine Pause, schaute zu Boden und holte tief Luft. Dann schaute sie wieder zu mir hoch.
»Nachdem meine Stiefschwester und ich die Wahrheit über mich herausgefunden hatten, entfremdeten wir uns noch mehr. Sie hatte schon immer die Liebe, die Mama Latisha mir gab, und die Aufmerksamkeit, die besonders Roy mir schenkte, übel genommen. Sie hatte das Gefühl, dass sie vernachlässigt und ich bevorzugt wurde. Das neue Wissen war keine Erleichterung für sie. Es streute Salz in ihre Wunden zu erfahren, dass ich nicht einmal blutsverwandt war mit ihr; dennoch wurde ich in ihren Augen von ihrer Mutter und ihrem Bruder stärker geliebt.
Sie war schon immer rebellisch, wütend. Sie ließ sich mit einer Gruppe von üblen Leuten ein, stahl sich heimlich davon zu einer Party, wurde unter Drogen gesetzt und vergewaltigt.«
»Oh nein.«
»Und sie fotografierten sie dabei und versuchten sie damit zu erpressen. Sie verlangten Geld. Wir hielten es vor meiner Stiefmutter und vor Onkel Roy geheim. Beneatha wollte das so, und ich machte mit, weil ich mir so sehr wünschte, dass sie mich mochte, mich liebte.
Am Ende gerieten wir beide in eine Falle, und ich floh, um Hilfe zu holen.Als ich zurückkehrte, war sie ermordet
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