Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes
zur Decke und dachte über alles nach.
Daddy unterbrach mein Grübeln, als er mit meinen Sachen vorbeikam.
»Es hat keine Eile, alles wegzupacken«, sagte er, als er mich so niedergeschlagen auf meinem Bett liegen sah.
»Wenn ich nur nicht aus dem Fenster geklettert wäre, um bei ihm zu sein, Daddy.«
»›Wenn nur‹ sind die zwei Worte, die ich am meisten hasse«, sagte er. »Was dabei geschieht, ist, dass du über deine unschuldigen Handlungen nachgrübelst und er
mit seinen kriminellen Handlungen davonkommt. Hör auf damit«, befahl er.
Mein Kinn zitterte. Der Anblick meines Kummers und Schmerzes machte ihn wütend. Sein Gesicht wurde hart, seine Augen blitzten vor Zorn.
»Ich werde Grandpa Grant anrufen«, entschied er. »Er wird wissen, was als Nächstes zu tun ist.«
Bevor ich noch eine weitere Silbe aussprechen konnte, schoss er aus meinem Zimmer und polterte die Treppe hinunter in sein Arbeitszimmer. Mein Stiefgroßvater war ein sehr bedeutender und einflussreicher Anwalt. Er war Bundesstaatsanwalt gewesen, hatte für das Justizministerium gearbeitet und kannte den Präsidenten persönlich. Dennoch war es mir peinlich, dass eine weitere Person davon erfuhr, selbst wenn sie zur Familie gehörte.
Mrs Geary wartete nicht darauf, dass ich zum Lunch herunterkam. Sie brachte mir ein Tablett mit einer Schale heißer Suppe und Kräckern.
»Iss etwas davon«, drängte sie.
Ich wollte nicht hungrig sein. Ich wollte verhungern, um mich irgendwie zu bestrafen. Ich wusste genau, was Mommy den ganzen Tag durch den Kopf ging. Dies war ein weiteres Beispiel für ihr Pech, der Fluch, der auf die Menschen fiel, die sie liebte – und das alles wegen mir, mir!
»Komm schon, Schätzchen, setz dich hin und iss die Suppe. Du willst doch nicht krank werden. Ich kenne dich. Es würde dir noch stärker Leid tun, wenn du zu einer Last wirst, und wenn das passiert, wo sind wir dann?«
Sie sagte die Zauberworte, kannte natürlich die Formel, mit der man mich dazu brachte, Dinge zu tun, die ich tun sollte. Ich setzte mich auf, sie stellte mir das Tablett auf den Schoß und trat zurück, um mir zuzusehen. Ich fing an zu essen.
»Es war meine Schuld, Mrs Geary. Ich war so dumm, mich in diese Situation zu bringen.«
»Also wie solltest du das Böse im Herzen eines anderen erkennen, Liebes, besonders bei einem dieser Jungen aus so guter Familie?«
»Nur weil seine Eltern reich sind und Einfluss haben, heißt das nicht, dass er besser ist als irgendein anderer«, sagte ich. »Niemand weiß das jetzt besser als ich. Ich bin solch eine kleine Idiotin, die den Leuten blindlings vertraut.«
»Du bist doch kaum mehr als ein Kind. Was sollst du denn sein, eine weise alte Dame? Ich kenne viele Frauen, die doppelt so alt sind wie du, aber viel vertrauensseliger.«
Ich aß weiter, mein Selbstmitleid wandelte sich immer mehr zu Wut auf mich selbst, während Mrs Geary weiterschimpfte.
»Als Nächstes wird man noch hören, dass Leute, die ausgeraubt werden, es verdient haben, weil sie in der Gegend herumgelaufen sind ohne eine Armee zum Schutz. Nur weil sie ein Fenster einen Spaltbreit offen stehen lassen oder eine Tür unverschlossen, heißt das doch nicht, dass ein Dieb ein Recht auf deine Sachen hat, oder? Man kann doch nicht erwarten, dass jeder
ständig so wachsam, so auf der Hut ist.Wenn wir ständig das Schlimmste denken über jeden, dem wir begegnen, haben wir nie eine Minute unsren Frieden«, sagte sie. Misstrauisch kniff sie die Augen zusammen. »Wer hat dir die Schuld gegeben?«
»Ist doch egal«, sagte ich.
»Nicht deine Mama oder dein Papa, das weiß ich. Waren es die Leute an deiner Schule?« Sie schüttelte den Kopf über mein Schweigen. »Ein braves Mädchen hat heutzutage bei fast allem eine schwere Aufgabe vor sich«, murmelte sie und fing an, meine Sachen auszupacken.
»Ich kann das doch machen, Mrs Geary«, protestierte ich.
»Ich weiß, dass du das kannst. Ich will jetzt nur nicht müßig sein«, sagte sie.
Endlich lächelte ich. Wenn man Menschen um sich hat, die dich so sehr lieben wie meine Eltern und Mrs Geary, wird dir, wenn dir eines Tages etwas Schlimmes widerfährt, klar, dass dies auch ihnen angetan worden ist. Wir teilten Enttäuschungen und Schmerz,Triumph und Glück, und das verband uns.
Ich aß meine Suppe auf und stieg aus dem Bett. Statt dort zu liegen, zu ächzen und zu stöhnen, gehörte ich nach unten, um Mommy zu trösten.Als ich jedoch nach unten kam, fand ich sie nirgends im Haus. Daddy
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