Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes
ihr zu warm, um draußen zu bleiben und uns zuzuschauen, daher kam Daddy gelegentlich heraus und
kontrollierte, was im Wasser vor sich ging, oder sprang selbst ins Wasser. Onkel Roy ging nur sehr selten schwimmen.Wenn er das tat, tauchte er am anderen Ende des Sees, das sich näher an seinem Haus befand, hinein. Als Harley noch jünger war, hielt Onkel Roy ihn so weit wie möglich auf ihrer Seite des Sees und behauptete, er wollte nicht, dass Harley uns belästigte, aber Mommy sagte ihm glasklar, dass er Harley nie das Gefühl geben dürfe, er gehörte nicht zu uns. Jetzt konnte Harley natürlich den See ganz durchschwimmen, daher war es völlig gleichgültig, an welcher Stelle er hineinsprang.
An jenem Wochenende stattete Tante Alison uns einen Überraschungsbesuch ab. Oft wusste Großmutter Megan nicht, wo sie war oder wo sie hinging, daher rief sie Mommy nie an, um Bescheid zu sagen. Ich hatte an jenem Freitagnachmittag Klavierstunde. Die Musik machte mich melancholisch, weil ich mich daran erinnerte, wie sehr ich es vermisste, nicht auf der Musikschule sein zu können. Es erschien mir alles so unfair. Ich war mir sicher, dass Duncan überhaupt nicht melancholisch war. Er hatte gar nicht auf die Schule kommen wollen. Ich war einfach ein Mittel zum Zweck gewesen. Vermutlich lachte er jetzt irgendwo darüber und erzählte neuen Freunden von diesem dummen Mädchen, das versucht hatte, ihn in Schwierigkeiten zu bringen.
Wenn ich daran dachte, wurde ich so wütend, dass ich Harley am liebsten alles erzählt hätte, besonders Duncans
Name und Adresse, und so Harley als Bluthund auf seine Fährte gesetzt hätte, um ihn aufzuspüren und zu bestrafen und ihm zumindest dieses selbstgefällige, von sich überzeugte Lächeln vom Gesicht zu wischen.
Meine hitzigen Gedanken wurden nur noch verschärft durch das Unbehagen, das die Hitzewelle verursachte. Nach dem Musikunterricht aß ich etwas Leichtes zu Abend, zog den Badeanzug an und marschierte zum See hinunter. Zuerst dachte ich, Harley wäre nicht da. Es war dunkler als üblich, da der Mond nicht schien, aber als meine Augen sich an die Nacht gewöhnten, sah ich ihn auf dem Rücken auf dem Floß liegen, schwach beleuchtet von den Sternen.
Über den See hinweg kam von ihrem Haus leise religiöse Musik, Kirchenlieder ohne Worte. Heute erschien das angemessen. Ich wusste, dass es Mommy lieber wäre, wenn ich in einer Nacht wie dieser nicht zum Floß hinausschwamm, deshalb rief ich Harley, aber entweder schlief er, oder er hörte mich einfach nicht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er mich einfach ignorierte. Ich war frustriert genug, dass ich mich entschloss, zu ihm hinauszuschwimmen. Als ich jedoch gerade ins Wasser gehen wollte, wischten Scheinwerfer die Dunkelheit fort und warfen einen Lichtstrahl über das Wasser bis zum Floß.
Harley setzte sich auf, beschattete die Augen mit der Hand und schaute zum Bootssteg hinüber.
Ich winkte ihm, und er winkte zurück. Dann drehte ich mich um, um zu sehen, wer das war, und hörte
Tante Alisons Lachen. Autotüren knallten zu, wieder ertönte Gelächter, und ich hörte, wie sie meinen Namen rief.
Ich antwortete und wartete, während sie zum Bootssteg hinunterkam, gefolgt von einem schlanken hochgewachsenen Mann, dessen Haar so hellblond war, dass es fast weiß wirkte. Tante Alison baumelte eine Zigarette aus dem Mundwinkel, sie trug sehr kurze dunkelblaue Shorts und ein blaues rückenfreies Oberteil.
»Wie geht es meiner Lieblingsnichte?«, rief sie.
»Mir geht es gut, Tante Alison. Ich wusste nicht, dass du herkommen wolltest.«
»Ich auch nicht, aber wir waren nur achtzig Kilometer entfernt, und ich erzählte Harper alles über meine Familie und dieses wundervolle Anwesen, nicht wahr, Harper?«
Er lachte und zog eine Zigarette aus der Packung in der oberen Tasche seines kurzärmeligen Hemdes. Seine Jeans war eng geschnitten, und er hatte eine sehr schmale Taille.
»Harper ist Schwimmer«, erzählte sie. »Er schwamm für die University of Virginia, nicht wahr, Harper?«
»Ich versuchte es«, sagte er.
»Das ist das Gleiche«, entschied sie rasch. Sie schaute sich um. »Wo sind denn die anderen? Ich hatte eigentlich fest damit gerechnet, dass mein Schwager in einer Nacht wie dieser meine Schwester in den See tunkt.«
»Mommy kann schwimmen, wenn sie möchte«, erwiderte ich scharf. »Es ist eine sehr gute Therapie für sie.«
»Aber sicher. Wie gesagt, Harper, meine Halbschwester sitzt im Rollstuhl. Stürzte vom
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