Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes
»Tut mir Leid«, fügte er schnell hinzu, bevor ich antworten konnte. »Tut mir Leid, dass ich dich belästigt habe. Tut mir Leid, dass ich alle belästige«, murmelte er und ging rasch davon.
»Harley!«, rief ich hinter ihm her, aber er ging immer weiter. Ich spürte, wie Frust in mir tobte, und stampfte wütend mit dem Fuß auf.
Und dann heißt es, Mädchen seien schwer zu verstehen, dachte ich.
Ich ging ins Haus zurück, in mein Zimmer hinauf, wo ich am Fenster stand und nach ihm in der Dunkelheit Ausschau hielt. Ich sah ihn nirgends, und ich war zu müde, um weiter nach ihm zu suchen.
Am nächsten Tag kam er nicht, aber am darauf folgenden Nachmittag gestellte sich Harley zu mir und Mommy auf der hinteren Veranda. Er saß einfach da und schaute uns beim Handarbeiten zu. Er sagte »Hi«, und Mommy sagte »Hi« und lächelte ihn an, aber ich warf ihm nur einen Blick zu und arbeitete weiter. Er und Mommy redeten über das Wetter und über seine Arbeit. Gelegentlich streifte mich sein Blick, aber ich konzentrierte mich auf meine Handarbeit. Schließlich sagte er, er hätte von einem der Colleges gehört, bei denen er sich beworben hatte.
Erwartungsvoll schaute ich auf, aber er sagte nichts weiter.
»Also, Harley Arnold«, sagte ich schließlich, »sitz nicht einfach hier herum und spann uns auf die Folter. Was haben sie gesagt?«
»Sie sagten, ich sollte vorbeikommen und was lernen, wenn ich wollte.«
»Was?«
»Das ist ja wunderbar, Harley«, rief Mommy.
»Was lernen? Was für eine Art Zulassung zum College soll das denn sein?«
Er zuckte die Achseln.
»Macht doch kein großes Theater darum«, sagte er. »Es ist nur eins von diesen staatlichen Colleges.«
»Dennoch ist es eine Gelegenheit für dich, Harley«, sagte Mommy. »Verschenk sie nicht.«
Er nickte und senkte den Blick einen Moment wie ein unterwürfiger junger Hund. Dann schaute er mich scharf an und lächelte. Ich konnte nicht anders, sondern musste lachen.
Einen Augenblick später kam Onkel Roy um die Ecke und blieb völlig überrascht stehen, als er Harley dort sitzen sah.
»Was machst du denn jetzt hier?«, wollte er wissen, ohne irgendjemanden gegrüßt zu haben.
Harley rutschte auf seinem Platz hin und her.
»Nichts«, sagte er.
»Nichts? Du solltest doch noch nicht so früh Schluss machen auf der Baustelle.«
»Jerry sagte, er sei für heute fertig mit den Rigipsplatten«, erwiderte Harley.
»Und? Was ist mit Bob Matthews? Ich habe dir doch gesagt, du solltest so viel wie möglich mit ihm zusammen sein, damit du mehr über Elektroinstallation lernst. Ich hab so lang gebraucht, um ihn zu überreden, dich als Praktikanten zu nehmen. Du würdest viel mehr schaffen, als nur hier herumzusitzen und ein paar Frauen beim Handarbeiten zuzuschauen.Was willst du werden, Näherin?«
Harley wurde knallrot.
»Er stört uns nicht«, sagte Mommy.
»Wenigstens etwas, aber er ist nicht bei der Arbeit, wo er sein sollte.«
Onkel Roy schaute erst mich und dann Harley an.
»Dein Lohn wird dafür um einen Tag gekürzt«, teilte er ihm mit.
»Tolle Sache«, fauchte Harley. »Ist sowieso ein Superlohn«, spie er hervor, stand auf und marschierte davon.
»Dieser Superlohn kommt für deine Ausgaben auf«, rief Onkel Roy hinter ihm her.
Harley schaute sich nicht um, aber ich sah, wie er die Schultern hochzog, als sei er auf den Hinterkopf geschlagen worden.
»Mama sagte uns immer, dass man mit Honig mehr erreicht als mit Essig, Roy«, sagte Mommy.
»Sie sagte auch, wenn man ihm den kleinen Finger reicht, nimmt er die ganze Hand.«
»Sie sprach von deinem Vater.«
»Hmm«, sagte Onkel Roy. Er schaute Harley noch einen Moment hinterher und wandte sich dann wieder uns zu: »Brauchst du irgendwas, Rain?«
»Nein, es ist alles da, Roy. Danke.Wie geht es Glenda? Ich habe sie ein paar Tage lang nicht gesehen.«
»Es ist diese Jahreszeit«, erwiderte er.
Mommy legte ihre Handarbeit hin und überlegte einen Moment.
»Ach, das hab ich ja ganz vergessen«, sagte sie.
»Ja. Latisha starb vorgestern vor zehn Jahren.«
»Ich hätte mich daran erinnern sollen«, sagte Mommy.
»Nicht bei all dem, was du jetzt um die Ohren hast, Rain.«
»Trotzdem hätte ich mich daran erinnern sollen«, beharrte Mommy. »Ich werde zu ihr hinüberkommen.«
»Sie sitzt nur im Haus, wiegt sich hin und her und summt ihre Kirchenlieder. Meistens merkt sie nicht einmal, dass du da bist«, sagte Onkel Roy.
Wir hörten, wie Harley sein Motorrad anließ und dann die
Weitere Kostenlose Bücher