Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes
Haus eine Menge Aufruhr. Einen Augenblick lang saß ich nur da und lauschte. Dann stand ich auf und ging zum Fenster. Der Krankenwagen fuhr zu Onkel Roys Haus. Onkel Roy, Daddy, Harley und zwei unserer Gärtner standen in einem kleinen Kreis beieinander.
»Was ist los?«, fragte ich mich, zog mich rasch an und lief die Treppe hinunter. »Mommy? Mrs Geary?«, rief ich am Fuße der Treppe.Verängstigter als je zuvor rannte ich hinaus und sah Mommy mit Mrs Geary neben sich. Mommy hielt ihre Hand, und sie schauten beide über den See hinüber. Der Krankenwagen hatte angehalten, und die Sanitäter knieten neben jemandem.
»Mommy!«, rief ich und rannte zu ihnen. »Was ist los?« »Ach Schätzchen, es ist Glenda«, sagte sie. Tränen liefen ihr über die Wangen und hinterließen Streifen.
»Was? Was ist passiert?«
»Wir sind noch nicht sicher, Summer. Onkel Roy rief Daddy zu Hilfe, und dann benachrichtigten sie einen Krankenwagen.«
»Diese arme Frau«, murmelte Mrs Geary.
»Harley«, rief ich und lief auf den Krankenwagen zu.
»Summer, warte!«
»Oh nein.« Ich lief los, ohne zu spüren, wie meine Füße den Boden berührten.
Als ich näher kam, sah ich, dass Harley allen den Rücken zugewandt hatte und den Kopf hängen ließ. Roy stand neben ihm und redete mit ihm, aber Harley schüttelte immer wieder den Kopf.
»Daddy«, rief ich, als ich aufhörte zu laufen und nur noch schnell ging.
Die Sanitäter hatten Tante Glenda auf eine Trage gelegt und hoben sie hoch, um sie zum Krankenwagen zu bringen – nur … sie hatten ein Tuch ganz über sie gezogen!
»Summer, geh nicht weiter«, sagte Daddy und schloss mich in die Arme, um mich daran zu hindern weiterzugehen.
»Was ist passiert?«, fragte ich durch meine Tränenflut hindurch.
»Der See hat endlich sein Opfer gefordert«, gab er zur Antwort und drehte sich um, als die Türen des Krankenwagens geschlossen wurden.
»Wie?«
»Irgendwann früh am Morgen stand sie leise auf, ging nach unten und verließ das Haus. Im Nachthemd ging
sie in den See. Als Onkel Roy merkte, dass sie weg war, rannte er durch das Haus und nach draußen, konnte sie aber nicht finden. Schließlich entdeckte er sie im See mit dem Gesicht nach unten«, sagte er. Es kamen keine Tränen aus seinen Augen, aber er weinte innerlich. Seine Stimme brach. Er holte tief Luft, um sein Schluchzen zu unterdrücken.
Nachdem die Sanitäter die Türen des Krankenwagens geschlossen hatten, blieben sie noch bei Onkel Roy stehen um mit ihm zu sprechen. Er hörte zu und nickte. Harley, der uns die ganze Zeit den Rücken zugewandt hatte, löste sich aus der Gruppe und rannte plötzlich auf den Wald zu.
»Harley!«, schrie ich hinter ihm her. Darauf lief er noch schneller.
Ich riss mich aus Daddys Armen los.
»Lass ihn eine Weile allein, Summer«, drängte Daddy.
»Nein, Daddy«, erwiderte ich entschlossen. »Das ist die schlimmste Zeit, um allein zu sein.«
Ich lief hinter Harley her. Daddy versuchte nicht, mich aufzuhalten oder mich zurückzurufen. Ich warf einen Blick auf Onkel Roy. Die Tränen hatten bei ihm Salzspuren auf Wangen und Kinn hinterlassen. Harley verschwand im Wald, aber ich folgte ihm weiter. Als ich den Waldrand erreichte, rief ich nach ihm. Er antwortete nicht, aber ich blieb weiter hinter ihm.Vor mir hörte ich das Knacken von Zweigen. Ich rief und rief und lauschte, aber ich hörte nur, wie er weitere Zweige und Stöcke auf seinem Weg zerbrach.
Der Wald wurde immer dichter und dunkler. Als wir noch jünger waren, kamen Harley und ich oft hierher, aber wir gingen nie weit in den Wald hinein. In der Umgebung gab es große Waldflächen. Wir hatten dort einen Lieblingsplatz, eine Ansammlung von großen Steinen an einem Fluss, der manchmal schwer dahinfloss, manchmal aber auch fast austrocknete. Dort sammelten wir die farbigeren abgeschliffenen Steine und taten so, als handelte es sich um wertvolle Juwelen. Er lief in diese Richtung, deshalb mühte ich mich weiter ab, ihm zu folgen, in der Hoffnung, ihn dort einzuholen.
Zuerst sah ich ihn nicht. Dann erspähte ich seine Turnschuhe und die Rückseite seiner Beine hinter einem der größeren Felsen. Langsam ging ich um ihn herum, stand dann dort und schaute auf ihn hinab. Er weinte nicht. Er saß auf einem Felsen, starrte ins Wasser und fingerte nervös an einem Zweig herum. Er schaute nicht hoch, wusste aber, dass ich dort war.
»Harley«, sagte ich.
»Ist es nicht seltsam, dass Wasser, was wir zum Leben brauchen, auch tödlich
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