Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes
sein kann? Schau dir an, wie schön das aussieht, wenn es über unsere alten Juwelen fließt.Wenn du deine Hand hineinhältst, fühlt es sich so gut an, so kühl. Legst du dich ganz hinein, dann verlangt es dein Leben und tötet dich.
Glaubst du, das trifft auf alles zu, Summer, auf alles, das schön ist, das dich in Versuchung führt?«
»Nein«, sagte ich.
Er nickte, ein wahnsinniges Lächeln auf den Lippen.
»Was ist mit ihr passiert, Harley? Warum ist sie so früh am Morgen im Nachthemd schwimmen gegangen?«
»Schwimmen?« Er lachte. »Glaubst du, sie ist schwimmen gegangen?«
»Ich weiß es nicht. Daddy sagte, Onkel Roy hätte gesagt …«
»Sie ist nicht schwimmen gegangen.Wer weiß, was sie im Wasser sah?Vielleicht sah sie Latisha, die nach ihr rief, oder vielleicht schaute sie auf den See hinaus und dachte, das sei eine wunderbare Art, zu Latisha zu gelangen. Vielleicht sah sie, was mit deiner Tante Alison passierte, und das brachte sie auf die Idee.
Meine Mutter war keine gute Schwimmerin, Summer. Das weißt du doch. Du kannst an den Fingern einer Hand abzählen, wie oft du und ich sie schwimmen gesehen haben. Und sie schwamm auch nie richtig. Sie watete nur.«
Er hielt inne und schaute nach unten.
»Vielleicht ist sie schlafgewandelt. Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Sie können nur tun, was ich auch tue – raten.«
»Was sagte Onkel Roy denn?«
Harley reagierte nicht.
»Harley?«
»Er sagte, es sei seine Schuld, so verdammt tief eingeschlafen zu sein. Er war erschöpft, nachdem er erst den ganzen Tag gearbeitet und dann so viel Energie wegen deiner Tante Alison verbraucht hatte. Deshalb hörte er nicht, wie meine Mutter aufstand und hinausging. Er
hätte damit gerechnet, dass sie noch im Haus war, vielleicht in Latishas Kinderzimmer, und so tat, als hielte sie sie in den Armen, oder ihr unten etwas zu essen machte. Als er sie im Haus nicht fand, dachte er, sie sei beim Grab, und als er sie dort auch nicht vorfand, wurde er langsam sehr besorgt und bekam es mit der Angst zu tun. Da richtete er den Blick auf den See.
Sein Schrei weckte mich«, sagte Harley. »Es war ein grauenhafter Schrei, wie von einem Tier. Ich zitterte einen Moment am ganzen Leib. Dann stand ich auf, zog mir die Hose an und packte ein T-Shirt – als ich mir die Turnschuhe anzog, stolperte ich und stürzte beinahe – und rannte hinaus, um zu sehen, was los war.
Mittlerweile zog er sie an Land und trug sie auf seinen Armen. ›Sag Austin Bescheid!‹, schrie er, und ich rief deinen Vater an. Binnen Minuten war er da und versuchte die gleiche Herz-Lungen-Wiederbelebung an meiner Mutter, nur funktionierte es diesmal nicht, deshalb sagte er Roy, er sollte den Notarzt holen. Den Rest hast du sicher gesehen.«
Ich nickte und setzte mich neben ihn.
»Vielleicht geht es ihr jetzt besser«, murmelte er.
»Oh, Harley, sag doch nicht so etwas.«
»Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll. Ihr Zustand besserte sich nicht, im Gegenteil, es wurde in letzter Zeit immer schlimmer. Aber es gab auch immer Zeiten, in denen sie aufhörte zu trauern, aufhörte zu beten, aufhörte, an Latisha zu denken, und mich anschaute, als ob sie mich wirklich sähe.«
Er lächelte.
»Manchmal hatte sie diesen Ausdruck auf ihrem Gesicht, als wäre sie gerade aus einem langen, langen Schlaf erwacht und sie hätte bemerkt, dass ich erwachsen geworden bin.
›Du wirst ein hübscher junger Mann, Harley‹, sagte sie dann. ›Dein Daddy sah auch sehr gut aus. Gefährlich gut aussehend‹, nannte sie es, weil er eine Frau nur anzulächeln brauchte, und sie bekam weiche Knie. Ich flehte sie an, mir mehr über ihn zu erzählen, aber sie schüttelte nur den Kopf und dachte wieder an ihre Religion. ›Nein, er war der Teufel. Der Teufel kann ein sehr hübsches Gesicht haben‹, sagte sie mir. ›Denk nicht an ihn. Ich hätte nicht so sprechen sollen. Gott vergebe mir‹, sagte sie und betete weiter um Vergebung.
Wenn sie mich so sah, mich wirklich sah, redete sie mit mir, wie eine Mutter es tun sollte, stellte mir Fragen über die Schule, erkundigte sich, was ich gerne machte. Was für eine Qual das war, eine Tortur, die ich bald zu hassen lernte, Summer.«
»Warum?«
»Weil sie bald in ihren finsteren, depressiven Zustand zurückfiel, und wenn ich mit ihr sprach, schaute sie mich an, als wäre ich nur ein Traum. Ich hörte auf, mit ihr zu reden, hörte auf, ihr Fragen zu stellen, hörte manchmal auf, sie zu sehen. Schon lange bevor sie heute
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