Die Hudson Saga 04 - Im Schein des Mondes
Ach, ich sehe aus wie ein Schwein, hm?«
»Nein«, widersprach er. »Ich genieße nur einfach, dir bei allem, was du tust, zuzuschauen.«
Ich spürte, wie ich rot wurde.
»Weil du bei mir bist, habe ich vor nichts Angst«, sagte er.
Ich nickte.
»Aber wenn wir dort sind, Harley, muss ich meine Eltern anrufen.«
»Sicher«, sagte er. »Lass uns erst mal hinkommen.«
Nachdem wir gegessen hatten, ging es zurück auf den Highway. Es war immer noch ziemlich warm und feucht, aber ich fing an, das Motorradfahren zu genießen, als ich mich immer stärker daran gewöhnte, an die Art, wie Harley sich in Kurven und wenn er die Gänge wechselte bewegte. Ich spürte bald, dass mein Körper rasch auf jede Bewegung von ihm reagierte, als wären wir miteinander verbunden.
Als wir von der Hauptstraße abbogen, kamen wir an vielen netten Farmhäusern vorüber und durch viele malerische Dörfer. An manchen Orten zeigten die Leute großes Interesse an uns, in anderen würdigten sie uns kaum eines Blickes.Vermutlich hing dies davon ab, wie häufig dort Motorradfahrer vorbeifuhren. Wir fuhren stundenlang. Einmal hielten wir direkt an der Grenze des Staates New York an einem breiten Fluss an. Harley fand
ein schattiges Plätzchen unter einer weit ausladenden alten Eiche. Wir hatten beschlossen, uns einige Sandwiches und kalte Getränke zu kaufen und unser Mittagessen als Picknick einzunehmen.
»Seltsam«, meinte er, als er auf dem Gras lag und in den Himmel schaute, »zu Hause haben wir so etwas kaum je gemacht. Ich meine keine Grillpartys oder so etwas, sondern dass nur du und ich draußen zu Mittag essen, vielleicht unten am See. Es ist ein gutes Gefühl, so entspannend.«
Ich lächelte, packte unsere Sandwiches aus und reichte sie ihm. Schweigend saßen wir eine Weile da, aßen und schauten auf das Wasser, das über die Felsen und um eine Biegung strömte.
»Ich frage mich, was für ein Gefühl das sein wird, meinem Vater das erste Mal von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. Glaubst du, wir sehen uns ähnlich?«
»Irgendwie wirst du ihm schon gleichen.«
»Ja, aber manche Leute gleichen entweder ihrem Vater oder ihrer Mutter. Amber sieht beispielsweise aus, als sei sie von ihrer Mutter geklont.«
»Was ist mit mir?«
»Du gleichst deiner Mutter sehr, aber du hast die Augen deines Vaters und diese kleinen Sommersprossen«, fügte er lachend hinzu. Einen Augenblick lang wurde er ernst und schaute wieder auf das Wasser hinaus. »Vermutlich musst du ein wenig Ähnlichkeit besitzen, wenn du jemandes Fleisch und Blut bist. Es wird nicht so sein, als lernte man einen völlig Fremden kennen. Oder?«
»Wohl kaum«, sagte ich, aber er wirkte immer noch sehr nervös.
»Er wollte, dass ich komme. Vermutlich muss er hin und wieder an mich gedacht haben, oder? Vielleicht ist er in ein ganz neues Leben hineingeraten und wusste einfach nicht, wie er zurückkommen sollte. Vielleicht habe ich da draußen einen Halbbruder oder eine Halbschwester. Vielleicht zwei von jeder Sorte?«
»Vielleicht«, sagte ich. »Aber er erwähnte doch keine anderen Kinder, oder?«
»Nein. Aber vielleicht dachte er, das wäre besser so.«
»Du sagtest, er lebte mit Suze zusammen, aber sie ist nicht seine Frau.«
»Nein, aber er könnte geheiratet haben und geschieden sein oder … seine Frau verloren haben. Maler«, murmelte er. »Das zählt doch. Ich meine, dass er körperlich arbeitet, mit seinen Händen. Ich arbeite auch mit den Händen.«
»Du bist aber auch sehr intelligent, Harley. Du bist nicht einfach ein Arbeiter.«
Er zog die Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf.
»Ich habe den Schulabschluss nur geschafft, weil du mir geholfen hast, Summer.«
»Dennoch warst du derjenige, der es tun musste und getan hat. Und du wirst auch noch mehr schaffen«, beharrte ich.
Er lachte und aß weiter. Dann schaute er zu einigen dunklen Wolken am Horizont hoch.
»Ich hoffe, das schlechte Wetter schlägt weiter eine andere Richtung ein«, sagte er. »Wir kommen jetzt gut voran. Ich fände es schrecklich, wenn uns Regen jetzt bremsen würde.«
»Vielleicht sollten wir keine zu lange Pause machen«, sagte ich, als er sich wieder auf den Rasen legte und die Augen schloss.
»Nur ein kleines bisschen«, sagte er. »Nur ein kleines bisschen …«
Ich saß da, aß mein Sandwich auf und trank mein Getränk aus. Als ich auf der anderen Seite des Flusses eine Spottdrossel entdeckte, musste ich unwillkürlich an Mommy denken und fühlte mich ihretwegen
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