Die Hüter der Nacht
Winkel war nicht so steil, wie sie gedacht hatte, und sie kam tatsächlich ziemlich leicht voran.
Bis ihr der Gestank entgegenschlug. Doch es musste Einbildung sein; menschliche Fäkalien von der Burg hatten sich vor langer Zeit zersetzt. Dennoch schlug ihr ein widerlicher, fauliger Geruch aus dem Boden entgegen, eine Mischung aus Exkrementen und Schlamm.
Danielle zwang sich, flach durch den Mund zu atmen. Sie kämpfte gegen die Übelkeit und Desorientierung an, als sie in die Finsternis des Tunnels gelangte, der einst der Abfluss für alle Fäkalien der Burg gewesen war. Sie versuchte, dicht hinter Mundt zu bleiben, verließ sich auf ihr Gehör, um sein Vordringen durch den Tunnel in Richtung Sickergrube im Wald zu verfolgen. Er musste ein Feuerzeug haben, denn sporadisch flackerte eine kleine Flamme weit vor ihr auf, wenn er überprüfte, was vor ihm lag.
Was ist, wenn der Tunnel weiter voraus eingestürzt ist?, dachte sie beklommen. Wenn die Zugangsluke, die aus der Sickergrube herausführt, in all den Jahren verrottet und nicht mehr zu öffnen ist?
Es war sinnlos, über diese Fragen nachzudenken; dies war ihre einzige Überlebenschance.
Der Gestank, ob eingebildet oder nicht, schien schlimmer zu werden, je tiefer sie vordrangen, und er wurde schier unerträglich, als sich der Tunnel zu einer großen, kreisförmigen Grube im Boden verbreiterte.
Die Sickergrube.
Danielle konnte nur hoffen, dass die paar hundert Meter, die sie zurückgelegt hatten, ausreichten, um sie hinter die Position der Heckenschützen zu bringen. Die Decke der Sickergrube war gerade hoch genug, um darin stehen zu können. Der über einsneunzig große Mundt konnte sie mit ausgestreckten Händen leicht erreichen, und er kratzte daran auf der Suche nach der Luke. Gelegentlich sah Danielle sein Feuerzeug in der Finsternis aufflammen.
Nach ein paar Minuten Suche fand Mundt die Luke. Er brauchte all seine Kraft, um an dem schweren alten Steindeckel zu rütteln und ihn zu lösen.
Danielle und Mundt spähten vorsichtig aus der Luke über den Waldboden, durch Blätter und Büsche verdeckt. Ohne das Krachen von Schüssen war es ihnen unmöglich, die Position der Heckenschützen ringsum auf dem Hügelhang auszumachen. Und mit nur einer Pistole konnten sie sich keinen Fehlschuss erlauben.
»Geben Sie mir die Waffe«, flüsterte Danielle.
»Was?«, wisperte Mundt zurück.
»Es sind vier. Zwei in den Bäumen, zwei auf dem Boden. Ich werde die auf dem Boden zuerst erledigen.«
Mundt sah sie abschätzend an, wie um sich in Erinnerung zu rufen, dass sie eine Frau war. »Sie?«
»Das kann ich am besten. Wenn ich mit den beiden am Boden fertig bin, können wir die Schützen auf den Bäumen gemeinsam erledigen.«
Mundt schüttelte den Kopf und bemühte sich, die Stimme gesenkt zu halten. »Sie müssen vergessen haben, mit wem Sie reden.«
»Nein, Anna Krieger hat mir von Ihrer Zeit bei der Stasi erzählt. Aber diese Killer dort draußen sind Profis, und Sie haben keine Regierung als Rückendeckung.«
Mundt zitterte vor Zorn, als Danielle fortfuhr.
»Wollen Sie Ihren Vater finden oder nicht?«
Schließlich schnaubte Mundt und gab ihr die Pistole. Der Stahl fühlte sich warm an, und der Griff war feucht von Mundts Schweiß. Danielle wog die Waffe in der Hand, machte sich mit dem Gewicht und der Balance vertraut, bevor sie in den Wald schlich.
Sie hatte erwartet, dass sie zögern würde, sich sogar fürchtete. Doch sie fühlte sich leicht, wie beschwingt und um zehn Jahre zurückversetzt in ihre Zeit bei den israelischen Special Forces, als diese Art Arbeit ihre Welt gewesen war. Sie schlüpfte so glatt und geschmeidig in ihre alte Rolle, wie sie sich fast lautlos durch den Wald bewegte.
Zeit und Ort schienen zu verwischen. Da draußen waren zwei Schießer, mit denen sie fertig werden musste, und die Welt reduzierte sich auf diese Aufgabe. Etwas anderes existierte nicht mehr. Danielle spürte die Gegner mit den Ohren auf, lauschte auf die Geräusche, die sie verraten würden, während ihre Bewegungen nicht lauter als das Rascheln von Blättern im Wind waren.
Danielle verharrte, als eine gedämpfte Stimme, die in ein Sprechfunkgerät murmelte, den ersten Hinweis auf die Killer am Boden gab. Danielle steckte die Pistole hinter ihren Gürtel und näherte sich dem Mann lautlos von hinten. Sie hatte beschlossen, ihn mit bloßen Händen auszuschalten.
Der erste Mann hörte sie im letzten Moment und fuhr herum, riss die Waffe hoch, jedoch zu spät.
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