Die Hueter Der Rose
frieren einem ja alle fünfe ein. Ich geh essen. Nimm den Bengel oder lass es bleiben. Ich bring ihn schon irgendwo unter.«
John traf eine blitzschnelle Entscheidung. »Ich werd ihn nehmen.« Und nachdem Raymond hinausgegangen war und die Tür sich geschlossen hatte, fügte er hinzu: »Du Drecksack.«
John gestattete seinem unfreiwilligen Knappen fürs Erste, auf das Gestüt zurückzukehren. »Aber fang an, dein Zeug zusammenzupacken.«
»Hab keins«, kam die mürrische Antwort.
John hob kurz die Schultern. »Umso besser«, erwiderte er kühl. »Dann fang an, dich zu verabschieden. In ungefähr einer Woche müssen wir aufbrechen.«
Daniel nickte unglücklich.
»Ich nehme an, du willst mit deiner Mutter reden. Wenn du hingehst, nimm meine Rüstung mit. Sie liegt da vorn zusammengeschnürt auf dem Boden, siehst du? Sag Matthew, er soll sie ein bisschen ausbeulen und polieren. Schau zu, wie er das macht, damit du in Zukunft weißt, wie es geht.«
»Ja, Sir John.«
John entließ ihn mit einem Nicken. Er hatte furchtbar vielzu tun in der kurzen Zeit, die ihm noch blieb. Er brauchte einen neuen Sattel, neue Stiefel und neue Kleider. Die Fetzen, die er trug, fielen ihm fast vom Leib. Doch eine Bestandsaufnahme seines Vermögens bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen: Seine Barschaft reichte nicht einmal für die notwendigsten Anschaffungen. Seufzend ließ er die Münzen zurück in seine Börse klimpern und dachte an den Brief, den sein Vater ihm hinterlassen hatte. Robins Testament hatte ein versiegeltes Schreiben an jedes seiner sechs Kinder und eines an Mortimer beigelegen.
Ich hätte dir gern mehr hinterlassen, mein Sohn , hatte er John geschrieben. Wer weiß, vermutlich wäre es gar klüger gewesen, dir unsere Hälfte des Gestüts zu vererben, denn es wird nicht lange gut gehen mit Conrad und Raymond. Aber die Baronie ist auf die Einkünfte der Zucht angewiesen, und wenn ich sie deinem Bruder vorenthalte, wird er früher oder später Dummheiten begehen und Land verkaufen. Ich bin sicher, du verstehst, dass ich das nicht zulassen kann. Sei nachsichtig mit Raymond, das ist mein letzter Wunsch an dich. Er wird deine Hilfe brauchen. Um dich sorge ich mich nicht. Du wirst deinen Weg auch aus eigener Kraft machen. Gott behüte dich, John.
Es waren schöne Worte, und sie hatten John, als er aus Agincourt heimgekehrt war und das Grab seines Vaters vorgefunden hatte, über manche kummervolle Stunde hinweggeholfen. Doch das änderte nichts an den Tatsachen: Nach Abzug der Kosten und Steuern und einer kleinen Rücklage, um seine Zuchtstuten eines Tages ersetzen zu können, blieb von seinem jährlichen Auktionserlös kaum genug übrig, um ihn mit dem Nötigsten zu versorgen. Er brachte den Sattel und die Stiefel ins Dorf zum Sattler.
»Sieh zu, was damit noch zu machen ist, Frederic.«
» Noch mal flicken, Sir John? Aber diese Stiefel fallen auseinander, und in spätestens zwei Wochen hat die linke Sohle ein Loch.«
Dann werde ich dazu herabsinken müssen, einem totenFranzosen die Stiefel zu nehmen, dachte John flüchtig. »Ich vertraue auf deine Kunst.«
»Was es hier braucht, ist keine Kunst, sondern ein Wunder«, brummte der alte Handwerker, aber John wusste aus Erfahrung, dass er ein brauchbares, wenn auch kein besonders hübsches Paar Stiefel zurückbekommen würde.
Er ritt nach Canterbury, kaufte bei einem Tuchhändler sieben Yards eines schlichten, aber dicht gewalkten braunen Wollstoffs und überredete die Zofe seiner Schwester, die geschickt mit der Nadel war, ihm ein Paar neue Hosen und eine Schecke zu nähen.
»Was ist mit dem Wams?«, fragte sie und wies mit einem kritischen Stirnrunzeln auf die zerschlissenen Ärmel seines Untergewands, die unter der ärmellosen Schecke zum Vorschein kamen.
Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Das muss noch ein Weilchen halten.«
Sie nickte, sprach ein Wort mit ihrer Herrin, und Joanna zweigte das Leinen für ein neues Wams aus den Tuchbeständen der Baronie ab, die eigentlich für die Bekleidung der Dienerschaft bestimmt waren. Eigenhändig färbte Johns Schwester das waidblaue Tuch mit Färberginster und Kreuzdorn, sodass es eine tiefgrüne Tönung annahm, denn Waid war die Farbe der Bauernkleidung und für einen Edelmann schmachvoll zu tragen. Nachdem sie einmal damit begonnen hatte, nähte sie ihrem Bruder das Wams auch persönlich und betete bei jedem Nadelstich, es möge ihn beschützen wie ein Panzer.
Wie sie befürchtet hatte, zierte er sich zuerst
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