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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Wagen praktisch gar nicht mehr selbst. Statt dessen bat er Leslie, ihn zu chauffieren, wenn sie Zeit hatte, und nahm ansonsten ein Taxi.
    »Können die Ärzte denn gar nichts dagegen unternehmen?« hatte sie ihn einmal behutsam gefragt.
    »Der Nerv ist geschädigt. Mit der Zeit klingen die Schmerzen vielleicht ab, aber Nerven regenerieren sich entweder von allein oder überhaupt nicht«, erklärte Simon. »Das einzige, was den Medizinern einfiel, waren schwere Schmerzmittel, die mich fast gefühllos machen würden. Da ziehe ich es vor, zu leiden und während der beschwerdefreien Zeit ich selbst zu sein, statt den Rest meines Lebens in einem … einem Drogennebel zu verbringen.«
    Simons Einstellung nötigte Leslie Respekt ab; andererseits zerriß es ihr das Herz, ihn so zu sehen. Wie Simon ihr auseinandersetzte, hatte er gewisse Selbsthypnose-Techniken erworben, die ihm während einer akuten Schmerzattacke ein wenig Erleichterung verschafften. Aber es war trotzdem ein Wunder, daß seine Anfälle ihn nicht bereits in den Wahnsinn getrieben hatten.
    Als er schlief, lag sie wach und beobachtete ihn tief besorgt. Hätte Simon sie noch einmal gebeten, seine Frau zu werden und von einem Moment zum anderen mit ihm fortzugehen, hätte sie ja gesagt. Ihre Patienten würden es überleben; sie würden andere Therapeuten finden oder irgendwie allein zurechtkommen. Simon brauchte sie, und sie konnte so wenig für ihn tun.
    Sie war ebenfalls halb eingenickt, als Simon plötzlich aufschrie, sich im Bett aufsetzte und wirre Blicke um sich warf. Leslie glaubte, er habe wieder einen Alptraum gehabt, und wollte ihn beruhigen, aber er stieß einen Schrei aus. »Alison!« rief er und war mit einem Mal hellwach.
    »Simon? Was ist denn? Hast du wieder Schmerzen?«
    Er war in kalten Schweiß gebadet; deshalb glaubte Leslie an einen Schmerzanfall. Doch Simon schüttelte auf ihre Frage den Kopf.
    »Ein Alptraum?«
    »Nein«, antwortete er mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich könnte schwören, ich hätte … Alison gesehen. Aber wie sollte das möglich sein? Sie hat diese Wohnung niemals betreten, und dazu muß irgendeine … Verbindung zur Welt der Lebenden bestehen.«
    »Warum sollte Alison dich nicht aufsuchen, Simon? Sie hat dich geliebt.«
    »Wir hatten einen Streit über … das, was ich dir einmal erzählt habe. Alison wollte, daß ich ihr Nachfolger werde. Sie wollte mich zu einem … ohnmächtigen Trottel wie Colin machen, der sich damit zufriedengibt, zu studieren, ohne das Gelernte jemals anzuwenden … Nach ihrem Schlaganfall hat sie dann entdeckt, daß ich ihre Katze geopfert hatte.«
    »Ich dachte, das wäre erst nach ihrem Tod gewesen, Simon.«
    »Das stimmt nicht.« Ausdruckslos starrte er ins Leere.
    Jetzt ist der richtige Moment, ihm Alisons Nachricht zu überbringen, sagte sich Leslie.
    »Simon, ich muß dir etwas erzählen. Kurz nach dem Einbruch hat Claire mich aufgesucht. Es war im Musikzimmer. Sie hat Alisons Geist angerufen …« Leslie hielt inne. Sie kam sich töricht vor, wenn sie eine solche Sprache benutzte. Sie mochte Claire und war inzwischen vom Überleben nach dem Tod überzeugt, aber mit dem Jargon konnte sie sich nicht anfreunden. Wahrscheinlich lag es daran, daß solche Erfahrungen sich vor allem im nichtverbalen Bereich abspielten und der Versuch, sie in Worte zu fassen, sie irgendwie lächerlich klingen ließen.
    »Sie erzählte mir, Alison habe ihr mitgeteilt: Sag Simon, daß ich ihm vergebe.«
    Simon starrte bloß an die Wand. »Das ist genau die Botschaft, die Claire erwarten würde. Deswegen glaubt sie, diese Nachricht tatsächlich empfangen zu haben«, meinte er in einem Tonfall, der besagte, daß die Diskussion für ihn beendet war.
    Glaubt Simon wirklich, daß Alison unversöhnlich in den Tod gegangen ist? Die letzten unruhigen Wochen in Alisons Haus hatten Leslie zumindest eine vage Vorstellung von dieser Frau vermittelt. Leslie konnte einfach nicht glauben, daß ein solcher Groll nach dem Tod überdauerte, selbst wenn Alison starke Vorbehalte gegen Simons Glauben und seine Taten hegte. War Simon wirklich der Meinung, daß Alison ihn aus dem Jenseits verfolgte und ihm zusetzte, seine fehlgeleiteten Praktiken aufzugeben?
    »Du weißt, das Haus sollte einmal mir gehören«, sagte Simon nach langem Schweigen. »Alison wußte um mein Interesse an der Thaumatologie – dem, was Colin »Schwarze Magie‹ genannt hat –, aber sie glaubte, das sei jugendlicher Leichtsinn gewesen, und hatte mir

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