Die Hüter der Schatten
diese Aussicht ein paar tausend Dollar auf den Preis aufzuschlagen.
»Wenn die Sonne scheint, wird es zu hell hier drin. Ich müßte noch zusätzliche Vorhänge anbringen«, sagte sie. »Und dann werden in den nächsten zehn Jahren hier wahrscheinlich ein halbes Dutzend Wolkenkratzer gebaut, stimmt’s? Was habe ich dann noch von der Aussicht? Außerdem muß ich die Küche sehen können. Wenn wir diesen Teil des Hauses als Praxis und die Räume auf der anderen Seite des Flurs als Musikzimmer einrichten wollen, müssen wir in der Küche essen und dort vielleicht auch Gäste bewirten.«
Aber die Küche, riesig nach viktorianischer Art, bot ausreichend Platz für einen Eßtisch, Waschmaschine und Trockner sowie ein halbes Dutzend Kinder. Einer der Vorbesitzer hatte sie gründlich umgebaut und mit Neonbeleuchtung und modernen Elektrogeräten ausgestattet.
Von der Küche aus gelangte man in einen ziemlich großen Garten. Er wirkte verwildert und vernachlässigt, doch die feuchte Luft war von würzigen Pflanzengerüchen erfüllt. An der rückwärtigen Mauer wuchs ein Zitronenbaum, in dessen dunklem Laub weiße Blüten und gelbe Früchte leuchteten, und spendete Schatten und seinen unverkennbaren Duft.
Der Garten ist einsam. Er will, daß ich mich um ihn kümmere, durchfuhr es Leslie. Sie hatte das Gefühl, endlich heimgekehrt zu sein. Das war ihr Haus. Eine weiße Katze sprang von der Gartenmauer und verschwand unter den Wunderbaum-Sträuchern.
»Gibt’s die Katze als Zugabe?«
»Katze? Ich habe keine gesehen. Gehört wahrscheinlich einem der Nachbarn«, meinte der Makler. Aber das Tier hatte sich so verhalten, als wäre es hier zu Hause, und Leslie hatte sich immer schon eine Katze gewünscht. Haus und Grundstück waren ideal; aber wahrscheinlich kostete das Objekt viermal mehr, als sie sich leisten konnte.
»Und hier haben wir noch eine Garage, die zu einem Apartment ausgebaut ist. Sie besitzt einen eigenen Eingang und ein kleines Badezimmer«, erklärte der Makler. »Ich glaube, ursprünglich sollte sie als Atelier dienen, aber Sie könnten sich hier ja ein Büro einrichten.«
Leslie hatte sich zwar den Doppelraum im Erdgeschoß als Musikzimmer vorgestellt, aber vielleicht würde Emily sich ja lieber in einem eigenen Apartment ausbreiten. Oh-oh, dachte sie dann. Ahnte ich doch, daß die Sache einen Haken hat. Obwohl man in die Wand der einstigen Garage drei große Fenster eingelassen hatte, wirkte das Haus von hier aus düster und bedrückend. Auf der Gartenseite war die Mauer von einem dichten Klettergewächs überwuchert, von dem ein Übelkeit erregender Geruch ausging. Im Inneren des Hauses waren sämtliche Zimmer blitzsauber gewesen, doch als der Makler nun das Licht im Atelier anknipste, runzelte sogar er die Stirn. In der Mitte des Raumes stand eine Töpferscheibe. Die Tonreste darauf waren mit einer schleimigen Substanz überzogen, und inmitten dieser ekligen Masse lag eine gesprungene Tasse, aus der eine farblose Flüssigkeit sickerte.
Leslie schüttelte sich. Das kalte, feuchte Zimmer wirkte bedrückend. Dasselbe fluoreszierende Neonlicht, das der Küche eine helle, moderne Atmosphäre verliehen hatte, ließ das Atelier wie ein verlassenes Lagerhaus wirken. Auch der kleine Kamin, in dem sich Asche und Schmutz häuften, verlieh dem Raum nicht gerade einen freundlicheren Anstrich.
Dann aber ermahnte Leslie sich, nicht voreilig zu urteilen. Frisch gestrichene Wände und neue Möbel konnten Wunder wirken; außerdem konnte man den Efeu – oder was immer das für eine Pflanze war, die das Fenster zum Garten verdunkelte – zurückschneiden. Naserümpfend inspizierte Leslie das Duschbad. Es war einigermaßen sauber, aber von einem abgestandenen, dumpfigen Geruch wie von einer verstopften Abwasserleitung erfüllt.
»Das Atelier würden wir natürlich noch ausräumen und reinigen, ehe Sie einziehen«, meinte der Makler entschuldigend und führte Leslie zurück ins Haupthaus, wo sie die Treppe hinaufstiegen. Die Stufen bestanden aus Hartholz und die geschwungene Balustrade aus einem dunkleren, schimmernden Holz. Auf dem Treppenabsatz hing ein Spiegel.
Ja, das ist mein Haus. Ich bin heimgekehrt. Nun verschwinde und laß mich in Ruhe, dachte Leslie mit einem Blick auf den Makler. Trotzdem besichtigte sie gehorsam die Wandschränke im Flur, das Bad, das vom Korridor im ersten Stock abging, einen kleinen Raum, den sie als Gästezimmer benutzen könnten – der Makler nannte es das »Mädchenzimmer« –, und
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