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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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entführen …«
    »Das hat er aber«, versetzte Leslie kurz angebunden. »Er hat sie über die Staatsgrenze gebracht. Suchen Sie nach ihr in …« Ein Bild stieg in ihr auf … Wüstensand, Kakteen, grelle Sonne … und sie versuchte mehr zu erkennen. »Er arbeitet in Phoenix«, flüsterte die Frau am anderen Ende.
    Das klang richtig, Leslie spürte es deutlich. »Phoenix«, wiederholte sie. »Ja, sie ist in Phoenix …«
    »Ich setze mich noch heute abend ins Flugzeug«, stieß die Frau hervor. »Wie kann ich Ihnen nur danken?«
    »Indem Sie niemandem davon erzählen«, bat Leslie, die plötzlich eine tiefe Erschöpfung spürte. Mit dem Fuß zog sie einen Stuhl heran und ließ sich darauf sinken. »Sie müssen es mir versprechen. Ich will weder Geld noch sonst etwas. Reden Sie bitte mit keinem Menschen über die Geschichte …«
    Noch einmal würde sie das nicht ertragen. Ihr Gesicht auf den Titelseiten der Revolverblätter, Verrückte, die ihr auflauerten. Sie würde Nick anrufen und ihm mit Prozessen und einstweiligen Verfügungen drohen – aber Nick war ein guter Bekannter, der Bruder ihres Freundes, und er wußte, wie sie empfand. Was sollte sie tun?
    Lieutenant Passevoy kam wieder an den Apparat. »Wir überprüfen das, Dr. Barnes«, erklärte er ruhig. »Und zwar sofort. Kann ich Sie später zurückrufen?«
    »Nein«, schrie Leslie panisch, knallte den Hörer auf die Gabel und schlug die Hände vors Gesicht. Emily stand immer noch neben ihr, den Joghurt in der Hand. »Was war das?« flüsterte sie. »Hast du wirklich etwas … gesehen?«
    »Ein kleines Mädchen. Es wurde vermißt …« Leslie wäre lieber gewesen, Emily hätte nichts von dem Gespräch mitbekommen. »Eigentlich wollte ich gar nichts sagen. Die Frau … hat mir Geld geboten.« Leslie fühlte sich durch das Angebot irgendwie beschmutzt. »Aber sie … sie hatte schreckliche Angst, das kleine Mädchen wäre vergewaltigt oder von einem Verrückten entführt worden … Ich konnte es nicht ertragen, ich mußte ihr einfach das Herz erleichtern. O Gott, Emily, wenn sie das Kind jetzt tot auffinden, will ich auch sterben. Ich weiß doch gar nicht …« Die völlige Gewißheit und der Druck, sich mitteilen zu müssen, fielen allmählich von Leslie ab, und sie fühlte sich verunsichert.
    »Du meinst, du hast der Frau erzählt, was dir gerade in den Sinn kam, um sie loszuwerden?« Emily blickte die ältere Schwester entsetzt an.
    »Um Himmels willen, nein«, beruhigte Leslie sie. »Während ich mit der Frau gesprochen habe, war ich mir sicher, vollkommen sicher. Ich hätte vor jedem Richter einen Eid darauf geschworen. Aber jetzt verschwimmt alles wieder …«
    Munter klopfte Emily der Schwester auf die Schulter. »Na ja, wenn du schon übersinnliche Eingebungen hast, dann lieber gute als schlechte. Ist doch besser, etwas Nettes zu sehen als lauter Scheußlichkeiten. Vielleicht hast du ja auch diesmal Glück gehabt.«
    »Glück!« Wieder schlug Leslie die Hände vors Gesicht.
    »Ich koche dir eine Tasse Tee«, erbot sich Emily. »Wie wär’s mit Baldrian? Ein rein pflanzliches Beruhigungsmittel, sehr entspannend und vollkommen unschädlich. Es wird seit Jahrhunderten gegen Nervosität angewendet.«
    »Laß uns die Sache einfach vergessen, Em. Und ich rufe Nick an. Wenn er mich je wieder in so etwas hereinzieht, kann er sich auf was gefaßt machen.«
    »Oder soll ich dir einen Drink holen, Les? Wir haben noch Wein im Schrank. Du siehst ziemlich blaß aus, Leslie.«
    »Es geht schon.«
    »Wir hatten eben von dem Haus gesprochen …«
    Erleichtert packte Leslie die Gelegenheit beim Schopf, das Thema zu wechseln.
    »Ich habe eine hohe Kaution gezahlt, und mit Großmutters Geld kann ich die Hälfte der Kaufsumme abdecken. Das bedeutet, daß die Kreditraten trotz der hohen Zinsen niedriger liegen als unsere jetzige Monatsmiete. Das Haus hat ein großes Zimmer für deinen Flügel, und du kannst auch die Harfe aus dem Lagerhaus holen lassen. Die frühere Eigentümerin war ebenfalls Musikerin. Und es gibt ein schönes großes Zimmer, schalldicht isoliert, in dem ich mir mein Büro einrichten möchte.« Leslie machte sich daran, Gemüse für einen Salat zu putzen. Emily schnappte sich eine kleine Möhre und kaute darauf herum. Den Joghurt hatte sie inzwischen verputzt, wie Leslie bemerkte. So wählerisch Emily beim Essen war, besaß sie wenigstens den Riesenappetit eines gesunden Teenagers.
    »Kann ich nicht das schalldichte Zimmer haben? Dann könnte ich auch

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