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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Lehrer. Aber ich konnte nichts sagen, sonst hätte der Lehrer mich aus dem Orchester geworfen. Und das kann ich mir nicht mehr leisten. Wenn man ein Fach so spät abwählt, kriegt man ein Ungenügend fürs ganze Halbjahr. Ich war heilfroh, als die Saiten zersprungen sind und alle sehen konnten, daß ich nichts damit zu tun hatte.«
    Plötzlich bekam Eileen es wieder mit der Angst zu tun. »Aber es passiert trotzdem, obwohl ich nicht verrückt bin, und es hört einfach nicht auf! Wie kann ich das stoppen?«
    Wer bin ich, daß ich dem Mädchen raten will? Hätte ich den Mumm besessen, Joel das verdammte Glas Wein selbst ins Gesicht zu schütten, hätte ich wahrscheinlich auch keinen Poltergeist gebraucht.
    »Erst mal möchte ich, Eileen, daß du jetzt an den Vorfall mit den Tellern zurückdenkst und mir genau sagst, was du empfunden hast. Offenbar hast du dich in einer klassischen Double-Bind-Situation befunden. Du wärst entweder durch dein eigenes Tun oder durch das Tun anderer in eine Lage geraten, in der jede Handlung von dir falsch sein würde …«
    »Ich verstehe, was Sie meinen«, gab Eileen schniefend zurück. »Egal, was ich anstellte, irgend jemand würde wütend auf mich sein. Und wenn ich bloß dagesessen und gar nichts getan hätte, wäre ich durchgedreht, weil alle über mich hergefallen wären. Ich konnte einfach nichts Richtiges tun …«
    »Und du hattest das Gefühl, daß du den Zorn der anderen nicht mehr ertragen konntest …«
    »Letztes Mal, als alle sauer auf mich waren, ist meine Mutter weggegangen. Und mein Vater war wütend, weil Mom mich ihm aufgehalst hat, obwohl er unbedingt wollte, daß sie mich mitnimmt …«
    Leslie hörte zu, wie Eileen die altbekannte Situation ein weiteres Mal abspulte. So wie es aussah, konnte sie keinem Elternteil wirklich die Schuld geben, weder der freiheitssüchtigen Mutter noch dem Vater, der sich jahrelang gefühlsmäßig von seiner Familie zurückgezogen und in seinem Beruf vergraben hatte und nun mit einem Mal mit der ganzen Verantwortung für eine problematische, emotional ausgehungerte Tochter dastand. Alle drei hätten andere Möglichkeiten finden sollen, ihre Gefühle auszuleben. Aber in dieser Gesellschaft, die sich auf die Kleinfamilie als alleinseligmachende Familienstruktur festgelegt hatte, war es unvermeidlich, daß die Mutter ausbrach und wieder heiratete, der Vater blieb und arbeitete und die Tochter zwischen beiden in der Schwebe hing.
    »Ich liebe meinen Dad. Aber ihm wäre lieber, wenn ich in Texas wohnen würde, bei Mom.«
    »Wie kommst du darauf, Eileen?«
    »Na ja, er schreit mich dauernd an.« Das Mädchen hielt inne. »Aber trotzdem hat er mich am Hals, nicht wahr? Und er bezahlt mein Schulgeld und meine Geigenstunden und alles. Ich schätze, er hat’s auch nicht leicht.«
    Mit diesem kurzen Moment der Objektivität mußte Leslie sich zufriedengeben. Vielleicht würde Eileen Verständnis entwickeln, oder die Einsicht würde wieder im Meer ihres gewaltigen Selbstmitleids versinken – die Erkenntnis, daß ihr Vater, ob er sie nun liebte oder nicht, zumindest seine Pflicht erfüllte, während ihre Mutter, die behauptete, das Mädchen zu lieben, es praktisch im Stich gelassen hatte. Möglicherweise lernte Eileen, ihre eigenen Haßgefühle und die ihres Vaters zu begreifen. Wenn nicht, hatte sie zumindest einen Schimmer der Wahrheit gesehen.
    Eileen erzählte nun wieder von der Angst, die ihr die zerspringenden Geigensaiten und die klirrenden Teller eingejagt hatten, ließ eine weitere selbstgerechte Tirade vom Stapel und erging sich in Selbstmitleid. Leslie lauschte ihr gelassen. Das Mädchen hatte einen kurzen Moment der Einsicht erlebt, und vielleicht konnte man für einen Tag nicht mehr erwarten. Jetzt konnte Leslie nichts weiter für sie tun, als ihr zuzuhören. Es war eine Schande, daß man in dieser Gesellschaft dafür bezahlen mußte, jemandem seine Probleme zu erzählen – aber zumindest hörte ein Psychologe gewissenhaft zu. Am Ende der Sitzung unterbreitete sie Eileen einen einfachen Vorschlag.
    »Wenn so etwas noch einmal passiert, versuch es zu kontrollieren. Probier mal, die Kraft so zu lenken, wie du willst. Diese Macht gehört dir, deshalb solltest du in der Lage sein, ihr zu befehlen statt zu erlauben, daß sie dir Angst einjagt.«
    Eileen warf Leslie bloß einen niedergeschlagenen Blick zu. »Also dann, bis Dienstag.«
    Wenig später lauschte Leslie dem einzigen anderen Patienten an diesem Abend. Wieder kam ihr der

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