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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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ignorieren.
    »Das wird dir noch leid tun, du Schlampe«, sagte die unartikulierte Stimme am anderen Ende der Leitung; dann klickte es, als aufgelegt wurde, und Leslie stand mit dem Hörer in der Hand da und vernahm nur noch das Freizeichen.
    Was, in aller Welt, sollte das?
    Joel? Die Stimme war der seinen nicht unähnlich, doch Leslie konnte einfach nicht glauben, daß er so etwas tun würde. Nicht einmal in betrunkenem Zustand.
    Ein dummer Streich? Ja, bestimmt ein Mann, der von seinem Frauenhaß verzehrt wurde. Wag es bloß nicht, noch einmal anzurufen, dachte Leslie mit einem bösen Blick auf den Apparat. Dann kochte sie sich noch einen Tee vor dem Schlafengehen.
    Kurz nach Mitternacht klingelte das Telefon wieder. Leslie wappnete sich gegen weitere Beschimpfungen und seufzte dann erleichtert, als sie Emilys Stimme hörte.
    »Les? Das Konzert hat lange gedauert, und ich wollte nicht, daß du dir Sorgen machst. Ich stehe an der BART-Station am Civic Center und bin mit der Schnellbahn in einer halben Stunde zu Hause.«
    »Okay, Kleine. Danke, daß du angerufen hast.« Sie schaltete die Herdplatte unter dem Wasserkessel auf »Warmhalten«, legte einen von Emilys Kräuter-Teebeuteln auf eine Untertasse und häufte eine Handvoll Kekse auf einen Teller. Dann ging sie zu Bett. Sie war beinahe eingeschlafen, als sie Schritte auf der Treppe hörte.
    »Emily?«
    Keine Antwort. Plötzlich war Leslie hellwach. Sie stand auf und eilte zur Schlafzimmertür. Auf der Treppe war niemand zu sehen. Hatte irgend jemand, der auf der stillen Straße vorüberging, das Geräusch verursacht? Ach, verdammt, jetzt benehme ich mich wie die typische alte Jungfer und suche am Ende noch unter dem Bett nach Einbrechern, die es nicht gibt. Ihr fiel auf, daß einer der Körbe mit der Aufschrift »Bring mich nach oben/unten« umgefallen war. Emily und sie benutzen die Behälter, um herumliegende Gegenstände einzusammeln und sie an ihren Bestimmungsort in Küche, Diele oder Waschküche zurückzubringen. Über fünf oder sechs Treppenstufen lagen überzählige Schuhe, Bücher, einzelne Strümpfe, Kleidungsstücke und Teller verstreut.
    Wer hat den Korb umgeworfen? Die Möglichkeit, daß sie selbst es auf ihrem Weg nach oben fertiggebracht hatte, schloß Leslie aus -hätte sie einen Behälter mit Tellern, Büchern oder Schuhen umgetreten, wäre ihr das mit Sicherheit aufgefallen. War tatsächlich ein Fremder die Treppe hinaufgeschlichen und hatte sich rasch im Bad oder in Emilys Schlafzimmer versteckt? Sie schaute im Flur nach und überprüfte die Tür des Wäscheschranks – Einbrüche kamen immer wieder vor. Aber sie war sich sicher, daß sie den Riegel vorgeschoben hatte, ehe sie nach oben gegangen war. Nachdenklich hob sie die verstreut liegenden Gegenstände auf, brachte den Korb in die Diele und schaute nach, ob die Tür verschlossen war. Ja, sie war zweimal abgeschlossen und der Riegel von innen vorgeschoben. Leslie ging nach hinten, um die Küchentür zu überprüfen. Auch die war fest verschlossen und verriegelt.
    Trotzdem ist der Korb umgefallen, und du hast Schritte gehört.
    Obwohl Leslie sich am liebsten selbst ausgelacht hätte, suchte sie das schwere Nudelholz, das sie aus Sacramento mitgebracht hatte, und schlich nach oben, um jedes Zimmer zu überprüfen. Mit dieser Keule konnte sie mit jedem Eindringling fertig werden, es sei denn, er war bewaffnet und schießwütig. Leslie selbst hielt nichts davon, eine Pistole im Haus aufzubewahren. Sie wußte nur zu gut, daß die meisten Waffen am Ende nicht gegen Einbrecher oder Räuber eingesetzt wurden, sondern – irrtümlich oder im Verlauf eines Streits – gegen eigene Familienangehörige.
    Die Treppe war leer. Auch in der Diele war niemand zu entdecken. Leslie hörte ihren eigenen Atem. Sie hatte den Korb wieder nach oben getragen und auf den Treppenabsatz gestellt. Vorsichtig öffnete sie die Badezimmertür, spähte hinein und knipste das Licht an. Bis auf Emilys klatschnasses Badetuch vom heutigen morgen war alles an seinem Platz. Das Badetuch gehörte allerdings nach unten in den Wäschetrockner. Leslie warf es in den Korb und trat in Emilys winziges Zimmer.
    Es war perfekt aufgeräumt. Leslie mußte an das Chaos denken, das sie als Teenager in ihrem Zimmer verbreitet hatte, und war froh, daß Emilys Widerspruchsgeist, der sich in Perfektionismus ausdrückte, zumindest leichter zu ertragen war als das Gegenteil. Dann stockte ihr der Atem. Auf der Treppe hörte sie ein Knirschen und

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