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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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einfachen Symbolen bedruckt waren. Rhine bot zwar faszinierende und überzeugende Belege für die Existenz von Telepathie und außersinnlicher Wahrnehmung, aber wie Leslie mit Eileen Grantsons oder ihrem eigenen Poltergeist umgehen sollte, erfuhr sie nicht.
    Das ständige Klingeln der Türglocke oder des Telefons zerrte auch an Emilys Nerven, doch sie beharrte felsenfest auf ihrer Meinung, das Problem sei auf die elektrischen Leitungen zurückzuführen.
    Trotzdem zwang Leslie sich, an den Apparat zu gehen, denn mindestens ein Drittel der Anrufe entfiel doch auf Patienten oder geschäftliche Gespräche. Als Emily einmal hereinkam und ihre Schwester am Telefon antraf, legte Leslie seufzend den Hörer auf. »Ich hätte nie geglaubt, wie erleichtert man sein kann, wenn ein Anrufer bloß versucht, einem Isolierfenster zu verkaufen!« erklärte sie heftig.
    Am Nachtmittag des Tages, an dem Leslie den Scheck für das neue Haus unterzeichnet hatte, kam Eileen Grantson. Zum erstenmal erlebte die Psychologin Eileen glückstrahlend und aufgeregt. Sie war mit einem Jungen aus dem Schulorchester zum Schlittschuhlaufen gewesen – ein junger Bursche, der einen relativ hohen Status genoß. »Er spielt Kontrabaß. Eigentlich spielt er auch nicht besser als ich, aber sein Vater ist der Basketballtrainer, und deswegen sind alle Mädchen verrückt nach ihm. Sie haben uns zugeschaut, und als er mich zum zweitenmal aufgefordert hat, sind sie fast geplatzt«, berichtete sie Leslie selbstgefällig. Dies war die erste Sitzung seit vier Wochen, bei der Eileen kein Wort über die lautstarken Auftritte ihres Poltergeists verlor. Ihr neuer Freund, den sie nur ›Scotty‹ nannte, hatte anscheinend mehr für Eileen tun können als Leslie.
    Im Unterschied zu der Meinung von Psychologen und Erziehern machen Statusprobleme den Schülern am meisten zu schaffen. Die fugendlichen, die gut angesehen sind, kommen auch gut zurecht, die anderen eben nicht.
    Nicht zum erstenmal fragte sich Leslie, ob sie ihren Beruf verfehlt hatte. Vielleicht hätte man als Psychologe den größten Erfolg, wenn man den Jugendlichen einfach half, sich diesen Imageanforderungen anzupassen.
    Laß den Quatsch! schalt sich Leslie. Schließlich hatte sie gerade das einzige bescheidene Kapital, über das sie jemals verfügen würde, in das neue Haus gesteckt. Emilys Anteil an dem Erbe lag auf einem Treuhandkonto und war dazu bestimmt, ihre kostspielige Ausbildung am Konservatorium zu finanzieren; eine kleine Reserve sollte ihr entweder den Start als Pianistin erleichtern oder den Übergang abfedern, falls sich herausstellte, daß aus der Konzertkarriere nichts würde.
    Und früher oder später wird Mommy das Geld ausgehen. Dann müssen wir sie irgendwo unterbringen oder zu uns holen. Bis jetzt ist sie mit Dads Rente ausgekommen, aber wenn sie krank oder bettlägerig wird, stecken wir alle in gewaltigen Schwierigkeiten. Deshalb gab es für Leslie nicht die Möglichkeit, jetzt noch den Beruf zu wechseln. Die übliche Falle, in die heutzutage viele junge Leute tappen, dachte sie: Nach einer zeitaufwendigen und kostspieligen Ausbildung startet man ins Berufsleben, blauäugig, eifrig und begierig, in einer Welt Gutes zu tun, in der Gutes nicht gewürdigt wurde. Und nach vier oder fünf Jahren stellt man fest, daß man genausogut versuchen könnte, einen See mit einem Eimer leerzuschöpfen. Es gab so viel Elend auf der Welt, und das wenige, das Leslie dagegen unternehmen konnte, war auf die paar Menschen beschränkt, die in der Lage waren, für ihre Dienste zu bezahlen.
    Vielleicht hätte sie Joels Heiratsantrag doch annehmen sollen. Inzwischen hatte sie das Gefühl, daß seine Einwände einige Berechtigung hatten: Sie verbrachte ihr Leben tatsächlich mit Verlierern und Jammerlappen …
    Aber immerhin tat sie etwas für ihre Patienten, sagte sie sich und lächelte Eileen an.
    »Wie du weißt, beziehe ich in zwei Wochen meine neue Praxis in San Francisco. Schaffst du es, allein dorthin zu kommen?«
    »Ja, klar«, antwortete Eileen. »Daddy sagt, ich könnte mit der BART-Schnellbahn rüberfahren und von der Station mit dem Bus zu Ihnen kommen.«
    »Ungefähr zwei Straßen entfernt gibt’s sogar drei Buslinien«, erklärte Leslie. »Ich lasse gerade einen kleinen Lageplan für meine Patienten drucken – nächstes Mal gebe ich dir einen.« Sie ließ Eileen nach draußen, blieb noch eine Zeitlang auf der Treppe stehen und schaute dem Mädchen nach.
    Das ist ein ziemliches Problem. Was

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