Die Hueterin der Geheimnisse
er fort und wurde ernster. »Ich kann euch nicht alles verraten … Mein Lord hat mir dahingehend strikte Anweisungen erteilt. Aber ich kann euch sagen, dass wir vom See angegriffen wurden.«
Sie nickten. Das war nichts Neues. Die Liste der Toten war herumgereicht worden, die Familien waren von Lady Sorn persönlich informiert worden. Diese hatte sich großzügig
- erstaunlich großzügig - gegenüber denen gezeigt, die ohne Unterstützung zurückgeblieben waren.
»Was ihr nicht wisst …« Leof legte eine Pause ein, um so viel Spannung wie nur möglich in den Moment zu legen. Sie beugten sich vor. »Was ihr nicht wisst, ist die Tatsache, dass mein Lord glaubt, dass es nicht der See war, der uns angegriffen hat.«
Diese Worte führten dazu, dass sie sich beide aufrecht setzten. Jetzt hatte er ihre volle Aufmerksamkeit.
»Mein Lord hat herausgefunden, dass es da einen Zauberer gibt, der sich gegen die Menschen der Domänen gewendet hat. Und dagegen rüsten wir uns gerade.«
»Bei Swith dem Starken!«, rief Gris aus. »Ist er so gut, dass er den See in seiner Macht hat?«
»Es sieht so aus«, sagte Leof und hoffte dabei, dass die Götter ihm diese Lüge verziehen. Dabei war er sich gar nicht sicher, ob es eine Lüge war. »Diese Information ist geheim«, mahnte er. »Nur diejenigen, die hier im Raum sind, kennen sie. Sollte darüber in der Stadt gesprochen werden, weiß ich, wer dafür die Verantwortung trägt, und werde umgehend für meinen Lord Recht sprechen.«
Affo und Gris nickten unisono wie Zwillinge, woraufhin Leof ein Lächeln unterdrücken musste. Eines Tages würde ihn sein Sinn für Humor noch in Schwierigkeiten bringen. Das hatte schon seine Mutter immer gesagt.
»Jetzt versteht ihr, warum ich eure Leute drängen muss. Wir wissen nicht, wann der Zauberer wieder zuschlägt.«
»Er hat Carlion angegriffen?«, fragte Affo. »Dorthin sind die Truppen doch unterwegs, nicht wahr?«
Leof nahm eine feierliche Haltung ein. »Mehr kann ich euch nicht sagen, ohne dass ich meinen Lord verraten würde«, sagte er. Das war die schlichte Wahrheit. »Werdet ihr uns helfen?«
Sie nickten erneut, und dieses Mal erlaubte er sich ein Lächeln, ein freundliches Lächeln, das sie erwiderten.
»Gut. Dann trinkt aus und macht euch wieder an die Arbeit.«
Er und Alston sahen zu, wie die beiden gingen und sich dabei angeregt unterhielten.
»Sie werden es ihren Frauen erzählen«, sagte Alston düster, »und dann macht es in der ganzen Stadt die Runde.«
»Hast du es Faina erzählt?«, wollte Leof wissen.
Alston errötete und schüttelte den Kopf. »Sie würde mich nie nach solchen Dingen fragen«, sagte er schlicht. »Sie gehört den Göttern und kann nichts Unredliches tun.«
Leof klopfte ihm auf die Schulter und schickte ihn zurück zum Appellplatz, wo die letzte Gruppe der Eidknappen sich damit abmühte, die beschwerten Stangen zu schwingen, mit denen sie übten. Affos Männer arbeiteten daran, rechtzeitig für sie Speere und Äxte herzustellen. Aber wofür rechtzeitig?, fragte sich Leof. Jeden Moment rechneten sie mit Nachrichten aus Carlion; die Botenpferde waren schnell, und mittlerweile war doch wohl Zeit genug verstrichen, um eine Nachricht zu erhalten?
Während die Sonne hinter den Anhöhen im Westen versank, ging er in den Speisesaal, um zu Abend zu essen. Lady Sorn und die beiden jüngeren Offiziere, die Thegan in der Festung zurückgelassen hatte, saßen bereits am Glastisch und aßen. Dieser wurde so genannt, weil diejenigen, die an ihm saßen, den Wein in durchsichtigen Glaskelchen statt irdenen Bechern serviert bekamen. Es war ein hübscher Anblick, wie sich die Flammen der Kerzen in den geschwungenen Gläsern spiegelten. Schon in der Cliff Domain hatte er es immer genossen, Thegan, seinem Vater und den anderen Lords zuzuschauen, wie sie ihre Gläser erhoben, sodass das Feuer in ihrem Boden funkelte wie Sterne. Nun war er
hier dem Namen nach Lord. Er kam sich als dürftiger Ersatz für seinen Vater vor und fragte sich, was die Menschen in der Cliff Domain wohl unternahmen, um sich vorzubereiten. Thegan hatte dorthin und zu den anderen Kriegsherren bestimmt Nachricht gesendet.
Als er näher trat, standen Sorn und die Offiziere auf und verneigten sich. Er erwiderte die Geste und entschuldigte sich für seine Verspätung. »In letzter Zeit verspäte ich mich offenbar ständig, meine Lady«, sagte er. Sorn lächelte und nahm wieder Platz. Sie bedeutete ihrer Zofe Faina, ihn zu bedienen. Neugierig
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