Die Hueterin der Geheimnisse
auf dem Stoff glänzten im Sonnenlicht. Lady Sorn hatte den ganzen Winter über daran genäht, erinnerte sich Leof.
Er kehrte in die Festung zurück, und erst auf der Anhöhe fiel ihm auf, dass Thegan ihm gar keine Nachricht für seine Lady übergeben und nicht einmal daran gedacht hatte, ihr einen Besuch abzustatten, und sei es in aller Kürze. Als er zögernd die Halle betrat, erwartete sie ihn wie bei seinem letzten Besuch in einem Strahl des Sonnenlichts stehend. Als sie sein Gesicht sah, lächelte sie ihm aufmunternd zu.
»Mein Lord lässt nicht ausrichten, dass er an mich denkt?«, sagte sie mit Lachen in der Stimme. »Ich habe nichts anderes erwartet, mein Lord. Wenn ein Kriegsherr in den Krieg zieht, denkt er an nichts anderes.«
Er erwiderte ihr Lächeln, erleichtert darüber, dass sie so vernünftig reagierte. Andere Frauen, so dachte er, hätten sehr wohl Anstoß daran genommen. Seine Mutter zum Beispiel hätte seinem Vater die Ohren an den schwarzen Felsaltar nageln lassen, wenn er sie so geringschätzig behandelt hätte. Den Göttern sei Dank war Sorn anders. Später allerdings fragte er sich, warum eine vornehme Dame so wenig Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nahm.
Widerwillig rückten die Eidknappen - Bauern, ungelernte Arbeiter, Frondienstleistende - am nächsten Tag an. Alston, der Sergeant, den Thegan für den Ausbildungsdienst abgestellt hatte, war jünger als die meisten Sergeants und nicht so verärgert darüber, den Kampf zu verpassen, wie die meisten anderen es gewesen wären. Dies lag daran, dass er mit Haut und Haaren in die Zofe von Lady Sorn, Faina, verliebt war. In ihrer Nähe zu sein machte ihn fröhlich und tatkräftig, beides Eigenschaften, die nötig waren, um den bunt zusammengewürfelten Haufen Männer in eine Streitmacht zu verwandeln. Eine Streitmacht, die Arme und Beine abhacken konnte.
Alston war einer jener vernünftigen, standhaften Männer, wie ihn sich Offiziere nur wünschen konnten. Er hatte hellbraunes Haar, eine große Statur, groß genug jedenfalls, um Eindruck auf junge Rekruten zu machen. Und er hatte eine Hand, die hart genug war, um die älteren Recken zu beeindrucken. Er duldete keine Flausen, war jedoch nicht gefühllos und strebte keine Macht an. Er tat einfach seine Arbeit.
Zum Glück hatte noch keiner der Eidknappen schon einmal gedient, sodass sie die Kampfmethoden, die Leof und Alston sich ausgedacht hatten und die alles andere als die Regel darstellten, nicht hinterfragten. Die beiden brachten den Männern bei, dass sie jeweils zu zweit vorgehen sollten; einer, um den Feind zu beschäftigen und auf Distanz zu halten, während der andere von der Seite kam, um den Arm abzuhacken. Leof ging auf, dass eine zahlenmäßige Überlegenheit auch gegen einen normalen Feind nicht schlecht war. Dies munterte ihn ein wenig auf, obwohl er sich eine Menge Sorgen darüber machte, was geschehen würde, falls die Geister ihnen zahlenmäßig überlegen waren.
Leof war froh über die Erfahrung, die er sich beim Festungsbau
und den langanhaltenden Abwehrschlachten in der Cliff Domain erworben hatte. Die Menschen in der Central Domain hatten keine rechte Vorstellung davon, wie ein Krieg sein konnte. Leider nahm niemand die Vorbereitungen besonders ernst, ganz gleich wie hart Leof sie antrieb. Die Gerüchte, die kursierten, warum die Männer nach Carlion marschiert waren, muteten noch phantastischer an als die Wirklichkeit. Man befand sich doch hier in der stärksten aller elf Domänen und wurde von Lord Thegan angeführt, warum also sollte man sich Sorgen wegen eines Angriffs machen? Nur ein Narr würde es wagen, Sendat anzugreifen.
Diese vorherrschende Meinung erschwerte es, Steinmetze und Zimmerer dazu zu bewegen, den ganzen Tag über zu arbeiten. Sie murrten, sie stöhnten, und gelegentlich stahlen sie sich davon, um irgendeine »kleine Sache« in der Stadt zu erledigen. Die Schmiede waren noch schlimmer. Schließlich beschloss Leof, er müsse Affo und dem Obersteinmetz, Gris, einiges - nicht alles - anvertrauen.
Er führte sie und Alston in die Sattelkammer neben den Ställen, wo er ihnen starkes dunkles Bier reichte und sie persönlich bediente. Das allein versetzte sie in Alarmbereitschaft. Er kicherte, als er ihre Gesichter sah.
»Nein, nein, Kameraden, ich werde euch nicht bitten, die ganze Nacht durchzuarbeiten, keine Sorge.« Sie erwiderten sein Lächeln und entspannten sich ein wenig, blieben aber dennoch argwöhnisch. »Doch ich brauche eure Hilfe«, fuhr
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