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Die Hueterin der Geheimnisse

Die Hueterin der Geheimnisse

Titel: Die Hueterin der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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gewusst, dass er das Richtige tat. Ganz gleich wie schwer es fiel zu töten, es musste getan werden, um Unschuldige zu schützen.
    Nun starrte er auf Broc hinab, der beides war, sowohl ein Mann, den er in einer Schlacht verloren hatte, als auch ein Unschuldiger, den zu beschützen er, Leof, versäumt hatte. Tränen brannten ihm in den Augen, und er sank vor der Leiche des Jungen auf die Knie. Das und die Bitte um Vergebung waren das Einzige, was er für ihn tun konnte. Als der Erdboden zu beben begonnen hatte, hätte er dem Jungen befehlen müssen, sich in Sicherheit zu bringen. Er selbst hätte ebenfalls fliehen sollen, wie es Thistle und die anderen Pferde getan hatten, die mehr Instinkt bewiesen hatten als die Menschen. Er hätte wissen müssen, dass die Pferde auf ein Trugbild nicht mit wilder Flucht reagiert hätten. Lord Thegan hatte sich getäuscht. Das hier war seine Schuld.
    Sofort verdrängte Leof den Gedanken wieder. Befehlshaber gründeten ihre Entscheidungen auf Informationen, die ihnen zu der betreffenden Zeit zur Verfügung standen. Thegan war nicht richtig informiert worden. Der See war viel mächtiger, als sie geahnt hatten. Sie würden sich neu formieren und neue Pläne schmieden müssen.

    Bei diesem Gedanken versiegten seine Tränen, und er fing wieder an, wie ein Offizier zu denken. Er warf einen Blick auf andere Leichen, ohne zu versuchen, sie aus den Ästen und den Teilen zersplitterter Bäume, um die sie sich schlangen wie zerrissene Tücher, zu bergen. Er fand zwei Bogenschützen und zwei Berittene. Nach den anderen würde er weiter weg vom See suchen müssen. Er rief nach ihnen, bekam jedoch keine Antwort, sodass er sich der grausigen Aufgabe widmete, nach weiteren Leichen zu suchen, in der Hoffnung, dabei auf Überlebende zu stoßen.

    Bis ihn Kälte und ein Schwindelgefühl zwangen, seine Suche einzustellen, hatte er drei weitere tote Männer, die er nicht identifizieren konnte, sowie ein Pferd gefunden. Obwohl er abgesehen von Blutergüssen keine erkennbaren Verletzungen hatte, dröhnte ihm der Kopf, und er bekam Schüttelfrost. Er musste vor Einbruch der Nacht Hilfe finden, oder er würde ein weiteres Opfer des Sees werden.
    Widerwillig wandte er sich dem Seeufer zu. Bestimmt war ein Suchtrupp unterwegs. Früher oder später würde Lord Thegan die Reste seiner Armee neu formieren wollen. Er würde von seinen Offizieren einen Bericht erwarten. Zwanzig waren es gewesen, mit ihren Männern jeweils in Abständen um den See herum postiert, damit sie von allen Seiten angreifen konnten.
    Vorsichtig näherte sich Leof dem Ufersaum. Er fragte sich, ob er dem See zurufen sollte, dass er in friedlicher Absicht kam. Dann erinnerte er sich an die Stimme, die er gehört hatte. Gewalttätig oder wahnsinnig hatte sie nicht geklungen, bloß traurig. Irgendwie beruhigt, schlängelte er sich zwischen eingeknickten Ästen hindurch und kletterte über umgestürzte Bäume.
    Vor ihm lag der See, unfassbar friedlich. Das Wasser war
still und unbewegt und reflektierte einen makellos blauen Himmel. Es war so ruhig, dass selbst das Schilfbett schwieg und sein ewiges Flüstern nicht erklang. In diesem Zustand hatte der See zu sein, nicht durch Krieg und Tod zerrissen. Reue überwältigte Leof. Dieses Gefühl kam unerwartet und so schnell, dass er davon überrascht wurde. Wir hätten nicht herkommen dürfen, dachte er. Wir haben kein Recht, über diese Menschen herzufallen. Dann fragte er sich, wessen Gedanken dies waren, seine oder die des Sees, und die Vorstellung, dass der See einen Gedanken in seinen Kopf pflanzen konnte, flößte ihm zum ersten Mal seit seiner Kindheit Furcht ein, nackte Furcht.
    Zu seiner Erleichterung hörte er zu seiner Linken jemanden rufen, und als er sich dem Geräusch zuwandte, sah er einen aus vier Männern bestehenden Suchtrupp, der sich vorsichtig einen Weg am Ufer entlang bahnte. Hodge führte ihn an, und als er Leof sah, ging ein Leuchten über sein grimmiges Gesicht.
    »Mein Lord Leof!«, rief er und hob die Hand zum Gruß. »Den Göttern sei Dank!«
    Leof ging ihnen entgegen, um sie zu begrüßen, und berührte Hodge am Arm, obwohl dies eine Geste war, die unter Gleichrangigen üblich war, nicht zwischen Offizieren und Unteroffizieren.
    »Ich bin froh zu sehen, dass Ihr lebt, Sergeant«, sagte Leof.
    Hodge nickte. »Geht uns genauso, Sir. In diesem Abschnitt seid Ihr bisher der einzige Überlebende.«
    »Wie weit ist die Welle vorgedrungen?«
    Hodge starrte ihn überrascht an.

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