Die Hueterin der Geheimnisse
zurückzog. Sie hatte winterliche Wälder durchwandert, war von dem einen oder anderen Schneesturm überrascht worden, aber im gemäßigten Süden gab es so etwas wie hier nicht, nicht einmal im tiefsten Winter. In dieser kargen Landschaft gab es nichts, was ihnen hätte Schutz gewähren können, außer hier und da ein Grat oder eine Felsformation. Sie überquerten schmale, halb zugefrorene Wasserläufe, vorsichtig darauf bedacht, dass ihre Stiefel dabei trocken blieben, und stiegen dann einen steilen Hang hinauf. Er gab nur wenig sicheren Halt, weil das lose Geröll unter ihren Füßen wegrutschte und sie immer wieder stolperten. Ohne Handschuhe wären Baluchs Hände aufgeschlitzt und eingerissen worden. Acton stürzte nicht so häufig. Von Zeit zu Zeit streckte er die Hand nach hinten aus, um Baluch über eine schwierige Stelle zu helfen oder ihn nach einem Sturz wieder auf die Beine zu ziehen.
Sie hatten sich ihre Schals vor das Gesicht gebunden, sodass nur noch ein Schlitz für die Augen frei war. Nichtsdestotrotz bemerkte Bramble, dass es Acton Vergnügen bereitete. Zuerst ärgerte sie dies. Sie hatte kein Vergnügen daran, Baluchs Kampf durch Wind und eisige Kälte mit ertragen zu müssen und mitten in der Nacht einen verdammten Berg hochzuklettern. Aber vielleicht könnte ich es, überlegte sie, wenn ich es tatsächlich täte. Nicht die körperliche Qual genießen, aber die Wildheit, die darin verborgen war, das Gefühl, am Abgrund zu stehen, auf des Messers Schneide, was Freude und Verzweiflung anging, Erfolg und Scheitern. Das könnte ich genießen.
Sie erreichten einen tiefen Hohlweg zwischen zwei Felsgraten, in dem sie vor dem Wind geschützt waren. Hier war
es vergleichsweise warm, und sie schlugen ihre Ohrklappen zurück, damit sie miteinander reden konnten. Obwohl sie an einer geschützten Stelle Zuflucht gefunden hatten, mussten sie schreien, um den Lärm des tobenden Windes zu übertönen.
»Wie weit ist es noch?«, fragte Acton.
Baluch ging in sich. Während die Götter sich auf ihn konzentrierten, senkte er erneut den Blick.
»Wir müssen den nächsten Felsgrat hochklettern, und dann gelangen wir, wenn wir um die Felsen herum sind, zu der Höhle. Weit ist es nicht, aber schwierig.«
»Wie im Namen von Swith dem Starken ist sie denn überhaupt hierhergekommen?«
Baluch zuckte die Achseln. »Du weißt doch, wie Friede ist. Heute Morgen fing der Tag schön an. Wahrscheinlich wollte sie eine Entdeckungsreise unternehmen.«
Acton schüttelte bewundernd den Kopf. »Sie ist eher wie ein Junge als wie ein Mädchen!«
Baluch grinste. »Asas Sohn sollte wissen, wie stark Frauen sein können.«
Acton schnitt eine Grimasse, doch war auch zu erkennen, dass er stolz auf seine Mutter war. »Stark genug, um uns das Fell zu versohlen, wenn wir Friede nicht wieder sicher nach Hause bringen.«
Baluch nickte, nun ganz ernst. Sie hüllten sich wieder ein und marschierten weiter, widerwillig die Zuflucht des Hohlwegs verlassend, um den vor ihnen liegenden Grat zu erklimmen.
»Du gehst als Erster«, sagte Acton. Baluch schaute ihn rasch an, als hätte ihn die Aufforderung überrascht, ging dann jedoch bereitwillig vor.
Der Grat war so steil, dass sie auf allen vieren kriechen mussten. Dabei hielten sie sich an spitzen Felsen, die ihnen
durch die Handschuhe schnitten, fest. Mit ihren Füßen traten sie Steine los, die hinabkullerten. Bald zeigte sich, dass Acton die schlechtere Karte gezogen hatte, denn er musste den Felsbrocken ausweichen, die Baluch mit seinen Stiefeln lostrat. An einer Stelle verbreiterte sich der Weg, sodass sie nebeneinander klettern konnten, und als er sich wieder verengte, bedeutete Baluch Acton, dieser solle vorangehen. Acton schüttelte den Kopf. Baluch schob ihn vor und bestand auf der geänderten Reihenfolge. Acton musterte ihn einen Augenblick. Dann zuckte er mit den Schultern und begann zu klettern. Reden konnten sie nicht, da der Wind so laut war, dass sie sich nicht verstehen konnten. Es war, als wolle der Wind sie von dem Felsgrat fegen und auf die Felsen unter ihnen schleudern. Vielleicht war es ja so, dass die Windgeister das Heulen hervorstießen und es nicht bloß durch den Luftzug entstand, der entlang der Felsspalten strömte.
Bramble zwang sich dazu, diesen beunruhigenden Gedanken zu verdrängen. Sie war sich unsicher, ob es der ihre oder der von Baluch war. Sein Atem ging nun schneller, während er kletterte, und seine Beine schmerzten und brannten, doch nur von den
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