Die Hueterin der Geheimnisse
Bramble nichts erkennen, doch seine Stimme klang amüsiert.
»Hier ist es halt warm«, sagte Friede beiläufig.
»Es sollte auch besser warm darin sein«, sagte Acton. »Wir werden heute Nacht alle hierbleiben müssen.«
Sofort spürte Bramble, wie der Druck der Götter um Baluch zunahm, und dieser schüttelte den Kopf.
»Nein, wir müssen sofort los, bevor der Schnee zu hoch wird. Dieser Schneesturm richtet sich auf einen längeren Besuch ein. Tage, vielleicht Wochen. Wenn wir uns nicht sofort in Bewegung setzen, schaffen wir es nicht mehr bis nach Hause.«
Friede starrte ihn neugierig an.
Acton grinste. »Die Götter führen ihn, Mädchen. Sie müssen dich mögen.«
Friede holte tief Luft. »Die Götter sprechen zu dir?« Ihre Stimme war voller Verwunderung, und sie schaute Baluch mit einer aufrichtigen Bewunderung an, die offensichtlich ungewöhnlich für sie war.
»Manchmal«, murmelte Baluch mit gesenktem Kopf.
» Also «, mahnte Acton die beiden zum Aufbruch, »gehen wir lieber hoch als runter.«
»Ich kann nicht hochklettern«, hielt Friede ihm ungeduldig vor, nun wieder ganz sie selbst.
»Runterklettern kannst du auch nicht«, sagte Acton. »Wenn wir dich schon den ganzen Weg nach Hause tragen müssen, dann tue ich das lieber über einen netten sanften Hügel bergab als über den Weg, den wir gekommen sind, durch die Felsen.«
»Aber um zu dem Hang zu gelangen …«
»Komm jetzt«, sagte Acton so fröhlich, als brächen sie zu einem Ausflug ins Grüne auf. »Wir wollen aufbrechen.«
»Führ sie erst um den Geröllblock herum«, riet Baluch. »Weiter unten am Sims ist der Anstieg nicht ganz so steil.«
»Gut. Dann also los.«
Sie gingen zurück, vorbei an dem Felsblock, Acton schritt voran. Friede schob sich behutsam vorwärts. Baluch folgte ihr auf dem Fuß, um zu helfen, falls es notwendig wurde. Nachdem sie hindurch waren, holte Baluch den zusätzlichen Mantel aus Actons Rucksack und half Friede dabei, ihn anzulegen. Als sie spürte, wie die Wärme sie umhüllte, stieß sie einen tiefen Seufzer aus.
Der Sims zog sich noch weitere vierzig Schritte hin, bevor er sich im Nichts verlor, und an diesem Ende war der Anstieg auf die Klippe deutlich einfacher. Dennoch wünschte sich Bramble während der nächsten halben Stunde, sie könne sich vollständig aus Baluchs Geist zurückziehen. Sie begriff nicht, warum sie diesen Teil von Actons Leben durchleben musste.
Friede kletterte auf Actons Rücken, ohne ein Wort zu sagen, als sei sie diese besondere Demütigung gewohnt. Baluch bahnte ihnen den Weg zum Grat hinauf, indem er loses Felsgestein und Kiesel aus dem Weg räumte. Acton blieb so weit zurück, dass Friede nicht von dem Geröll getroffen werden konnte, folgte jedoch gewissenhaft Baluchs Weg. Baluchs Hände bluteten in seinen Handschuhen, und nur die Wärme des Blutes verhinderte, dass sie erfroren. Aber sobald das Blut aufhörte zu fließen, das wusste Bramble, würde es gefrieren und Frostbeulen verursachen. Auch Baluch wusste das. Immerzu murmelte er: »Ersatzhandschuhe, ich hätte wissen müssen, dass wir Ersatzhandschuhe brauchen.« Bramble spürte, wie ihm die Arme und Beine brannten und zitterten, spürte die tiefe Erschöpfung, die er durch seinen
bloßen Willen unterdrückte. Wie schwer es für Acton sein musste, mit Friede auf dem Rücken, konnte sie nur erahnen.
Der Anstieg endete nicht plötzlich, sondern allmählich. Der Felsgrat verwandelte sich in eine Reihe kleinerer Kuppen, sodass es mehrmals so schien, als habe Baluch den Gipfel erreicht, bevor dies tatsächlich der Fall war. Jedes Mal, wenn der Boden eben wurde, machte sein Herz einen Freudensprung, und jedes Mal, wenn er erkannte, dass der Gipfel nach wie vor hoch über ihnen war, biss er die Zähne zusammen und marschierte weiter. Endlich machte er drei Schritte auf ebenem Boden, vier Schritte, dann fünf, und dankbar brach er zusammen. Im nächsten Augenblick sackten Acton und Friede neben ihm zu Boden.
Schwer atmend setzten sie sich Schulter an Schulter.
»Nun«, sagte Acton. »Wenigstens hat mich das aufgewärmt.«
Baluch erstickte fast vor Lachen und schlug ihm auf den Arm. Friede hievte sich an der Krücke hoch, bis sie stand.
»Wir sollten jetzt lieber weitergehen«, sagte sie.
Bramble sah, dass sie auf dem Gipfel des Felsgrats standen. Auf der anderen Seite war der Boden leicht abschüssig in Form eines lang gezogenen Hügels, der in der Finsternis kein Ende zu nehmen schien. Ohne ihren eigenen Körper
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