Die Hueterin der Krone
»Ich dachte, das Kirchendach stürzt ein, so hat er gebrüllt, als Pater Herman ihn getauft hat. Auf einem Schlachtfeld wird er sich zweifellos jederzeit Gehör verschaffen.«
»Gott bewahre, dass es dazu jemals kommt«, erwiderte Adeliza erschauernd. »Er sollte sie lieber nutzen, um Gott zu preisen.«
Will hielt wohlweislich seine Zunge im Zaum, geleitete sie zum Tisch und vergewisserte sich, dass sie es bequem hatte. Dann schenkte er ihr Wein ein und stellte Brot und Honig vor sie hin.
Adeliza aß mit Appetit, aber mit anmutigen Bewegungen, und wie immer war Will fasziniert, wie es ihr gelang, keinen einzigen Krümel fallen zu lassen. Er leckte Honig von seinen Fingern und fütterte Teri unter dem Tisch mit kleinen Bröckchen.
Adeliza trank einen Schluck Wein und wandte sich ihm zu.
»Was wolltest du mir gestern nicht sagen? Ich weiß, dass du mir etwas verschweigst.«
Er hätte wissen müssen, dass er nichts vor ihr verbergen konnte. Will griff nach seinem Becher und drehte ihn in den Händen. »Stephen belagert die Kaiserin in Oxford.«
Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen.
»Wir haben letzte Woche die Themse überquert. Ein ortskundiger Führer hat uns eine Furt gezeigt, obwohl die Pferde schwimmen mussten. Die Garnison versuchte uns aufzuhalten, aber wir waren ihnen überlegen, und sie konnten die Tore nicht vor uns verschließen.« Er sprach mit tonloser Stimme und wich ihrem Blick aus.
Adeliza schluckte. Sie wusste, was mit den Menschen passierte, wenn Feinde gewaltsam in eine Stadt eindrangen.
Er hob die Hände. »Da Robert of Gloucester sich in der Normandie aufhält, bietet sich Stephen jetzt die beste Gelegenheit, sie zu überwältigen und der ganzen Sache endlich ein Ende zu machen. Der Kastellan von Oxford ist vor drei Wochen gestorben, und es gibt sonst niemanden mit genug militärischer Erfahrung, um den Kampf gegen Stephens Truppen aufzunehmen. Sowie den Verteidigern der Burg die Vorräte ausgehen, werden sie aufgeben.«
»Und was dann?«, begehrte Adeliza auf. »Was wird mit Matilda geschehen?«
»Ich weiß es nicht.« Er seufzte schwer. »Vielleicht schickt Stephen sie nach Anjou zurück oder trifft eine Vereinbarung bezüglich der Normandie, die er jetzt ja nicht mehr von den Angevinern zurückerobern kann.«
»Oder er kerkert sie ein.«
»Ja«, räumte er müde ein.
»Was ist mit Robert of Gloucester und Brian FitzCount?«
»Sie sind machtlos. FitzCount verfügt nicht über die nötigen Mittel, und selbst wenn Gloucester mit einer Armee zurückkehrt, müsste er erst noch einen Feldzug organisieren, und das kostet zu viel Zeit.« Er nahm ihre Hand. »Matilda steht mit dem Rücken zur Wand, Liebste. Es tut mir leid, weil ich weiß, wie viel dir an ihr liegt und dass du dich für sie verantwortlich fühlst, aber du kannst wirklich nichts für sie tun.«
»Und du bist hergekommen, um dich nicht an der Belagerung beteiligen zu müssen?«
»Stephen kann nicht seine gesamte Armee monatelang im Feld halten. Ich habe die Erlaubnis, bis nach deiner Aussegnung in Arundel zu bleiben, aber dann muss ich zu ihm zurückkehren.« Er warf ihr einen bekümmerten Blick zu. »Ich hoffe, dass Oxford während meiner Abwesenheit fällt. Ich möchte nicht dabei sein, wenn Matilda sich ergibt.«
Adeliza schob das Kinn vor. »Sie wird sich niemals ergeben. Gott hat sie schon oft aus Gefahrensituationen errettet.«
»Sie ist aber noch nie dermaßen in die Enge getrieben worden, noch nicht einmal in Winchester. Als sie damals bei uns in Arundel war, hat Stephen sie gehen lassen. Diesen Fehler wird er nicht noch einmal machen.« Er schüttelte den Kopf. »Aber genug davon. Ich will nicht, dass du dich so kurz nach der Geburt mit solchen Gedanken herumschlägst. Was geschehen soll, geschieht.«
»Alles geschieht nach Gottes Willen, nicht nach Stephens«, entgegnete sie. »Ich werde für Matilda beten. Schick bitte Pater Herman zu mir.«
Will wischte sich die Hände an der Serviette ab und stand auf. Er war erleichtert, glimpflicher davongekommen zu sein als erwartet. »Ich gehe sofort und hole ihn.«
»Und ich möchte, dass du ebenfalls für sie betest«, fügte Adeliza hinzu.
»Natürlich.« Er war gern bereit, für Matildas Seele zu beten und Gott zu bitten, dass er ihr Vernunft schenkte und sie bereit war, Bedingungen für eine Kapitulation auszuhandeln und nach Anjou zurückzukehren.
46
Oxford, Dezember 1142
In der Burg von Oxford saß Matilda vor Kälte zitternd in ihrer Kammer. Ende
Weitere Kostenlose Bücher