Die Hueterin der Krone
ausarbeiteten. Matilda wählte Alexander de Bohun, Hugh Plucknett und zwei andere kräftige Ritter als Begleiter und Ralph le Robeur, einen Boten. Er war in Oxford geboren, kannte sämtliche Straßen und Pfade und würde sie sicher nach Wallingford bringen.
»Wir sollten den Weg über Abingdon nehmen«, schlug er vor. »Das sind ungefähr sechs Meilen. Wir können uns in dem Priorat aufwärmen und uns Pferde ausborgen.«
Matilda stimmte ihm zu. Sie kannte Abt Ingulph gut; er würde ihnen im Namen Gottes Hilfe gewähren. Mit jedem Stich an ihrer provisorischen Kapuze wuchs ihre Entschlossenheit. Sie starb lieber vor Kälte und Erschöpfung, als sich zu ergeben.
Sie gab Befehl, die Rationierung des Essens zu lockern, und wies die Köche an, für jeden eine großzügig bemessene Portion Eintopf zuzubereiten. Als an dem trüben Winternachmittag die Dämmerung einsetzte, setzten sie sich nieder, um ein Festmahl aus dem letzten Stockfisch mit Gerste und Zwiebeln, angereichert mit reichlich Pfeffer, zu sich zu nehmen. Matilda hatte keinen Hunger, zwang sich aber, ihre Schale zu leeren, weil sie wusste, dass dies die letzte Mahlzeit war, bevor sie in die eisige Kälte hinausmusste. Sie versuchte, nicht über das Bevorstehende nachzugrübeln, aber ihre Gedanken kreisten wie in einer Tretmühle gefangen unaufhörlich um ihre Flucht. Es gab eine Seitentür, die ins Freie führte, aber das konnte die Aufmerksamkeit von Stephens Wachposten erregen. Sie würden an einem Seil aus dem Fenster der Dienstbotenunterkunft klettern. Dabei liefen sie zwar Gefahr, sich zu verletzen, aber das Risiko, gesehen zu werden, war wesentlich geringer.
Die Zofen halfen Matilda, sich in eine Männerwollhose und drei Kleider übereinander zu zwängen. Ein Garnisonssoldat überließ ihr sein warmes gepolstertes Wams. Ihre Halbstiefel wurden mit Schaffell ausgekleidet und außen mit ranzigem Gänsefett eingerieben, um sie wasserdicht zu machen. Nachdem sie sich in ihre weißen Laken und Decken gehüllt hatten, glichen die Flüchtlinge formlosen, lebendigen Schneehügeln. De Bohun trug einen Ranzen mit Proviant, ein anderer Ritter hatte eine Laterne bei sich, die aber erst entzündet wurde, wenn sie sich außerhalb der Stadt befanden. Das kalte blaue Schneelicht reichte aus, um sich zurechtzufinden.
»Es schneit wieder«, sagte Ralph le Robeur, als er und Hugh Plucknett ein starkes Seil um den Mittelpfosten des Fensters schlangen.
Matilda spähte in das von tanzenden Flocken erfüllte dunkle Blau hinaus. »Gut. Das verringert die Gefahr, entdeckt zu werden«, sagte sie, aber innerlich zitterte sie vor mühsam unterdrückter Panik. Ich werde sterben , dachte sie unablässig. »Dann machen wir, dass wir wegkommen«, fügte sie barsch hinzu.
Ralph ließ das Seil aus dem Fenster fallen und glitt so geschmeidig daran hinab wie ein Aal in eine Reuse. Bei ihm sah es ganz leicht aus. Matilda schluckte, weil ihr Mund sich mit Speichel füllte. Alexander de Bohun, stämmiger und weniger behände als der Bote, folgte ihm. Seine Schwertscheide kratzte über das Fensterbrett, und sie konnte ihn vor Anstrengung keuchen hören. Als sie an die Reihe kam, wollte sie in der festen Überzeugung, niemals heil unten anzukommen, abwehrend den Kopf schütteln, doch ihre Füße trugen sie wie von selbst vorwärts, und Hugh hob sie hoch.
»Haltet Euch gut fest«, ermahnte er sie. »Und lasst Euch langsam hinunter, die beiden anderen fangen Euch schon auf.« Matilda spürte den rauen Stein unter ihren Füßen und das kratzige Seil in ihren Händen. Den beißenden Wind. Die eisige Luft brannte ihr in der Nase. Die weißen Schneeflocken berührten ihr Gesicht so zart wie Engelsflügel. Innerlich kreischte sie vor Angst laut auf, aber sie biss die Zähne so fest zusammen, dass der Schrei als fester, schmerzhafter Klumpen in ihrer Brust und ihrer Kehle stecken blieb. Sie schloss die Augen, überantwortete Gott ihre Seele und begann mit dem Abstieg. Jesus, hilf mir, betete sie stumm. Ihre Arme zitterten von der Anstrengung, als sie sich an das Seil klammerte und in der Dunkelheit hin und her schwang.
Plötzlich schlossen sich kräftige Hände um ihre Schenkel und stützten sie, und einen Moment lang fand sie sich Brust an Brust mit Alexander de Bohun wieder, bevor er sie in den knirschenden, pudrigen Schnee stellte.
»Herrin, diese Erinnerung wird mich während der Reise wärmen«, knurrte er mit einem gezwungenen Lächeln, als sie stolperte und sich erneut an ihm festhalten
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