Die Hueterin der Krone
seine Aufwartung zu machen.«
Die beiden anderen Männer starrten ihn überrascht und ein wenig erschrocken an, doch Stephen kicherte immer noch. »Eines muss man dem Burschen lassen – er hat Mut, auch wenn er ein Narr ist.«
Einen Moment später kam der Diener mit einem hübschen rothaarigen Jungen zurück. Er war nicht so groß wie sein Begleiter, aber kräftig gebaut, und er strahlte eine erstaunliche Selbstsicherheit aus. Er trug zweckmäßige, schmucklose Reisekleidung: einen dicken Winterumhang und ein gepolstertes Wams über einer schlichten, aber aus gutem Stoff gefertigten Tunika, dazu feste, bis zur Hälfte der Wade reichende Reitstiefel. Will hätte ihn, auch wenn er nicht gewusst hätte, wen er vor sich hatte, trotzdem auf den ersten Blick als wohlhabend eingeschätzt. Aber ihm haftete nichts Majestätisches an. Sein Gesichtsausdruck war offen, die Lippen leicht gekrümmt, und seine Körpersprache ließ keinerlei Anspannung erkennen.
»Bei Gott, er sieht aus wie der Angeviner, nur der Putz fehlt«, murmelte William Martel.
»Er ähnelt seinem Großvater, dem Vater der Kaiserin«, sagte Will. Entgegen Stephens Behauptung hielt er diesen jungen Mann keineswegs für einen Narren. Vermutlich verhielt es sich genau andersherum.
»Sire.« Henry sank vor Stephen auf ein Knie und senkte den Kopf. »Onkel«, fügte er dann mit jungenhaft heller Stimme hinzu.
Stephen räusperte sich. »Neffe«, erwiderte er. »Was verschafft uns das Vergnügen?«
Henry lächelte alle strahlend an. »Ich wollte Euch meine Aufwartung machen, bevor ich nach Hause zurückkehre«, sagte er. »Ich weiß nur das, was mir meine Mutter und mein Onkel Robert über Euch und die ganze Situation erzählt haben, und deswegen wollte ich mir eine eigene Meinung bilden.«
»So, wolltest du das?«, knurrte Stephen, aber seine Lippen zuckten leicht.
Auch Will lächelte. Er staunte über den Wagemut des Jungen, der so furchtlos in die Höhle des Löwen marschiert war. Es war ein kühner Schritt, aber kein ungeschickter. Seinen politischen Überzeugungen zum Trotz gefiel ihm der junge Henry. Dass er abreisen wollte, war eine gute Nachricht, aber dem so offen und gefasst vorgebrachten Grund seines Besuchs begegnete er mit einigem Misstrauen.
»Und wie kommst du darauf, dass du nach Hause zurückkehren wirst?«, fragte Stephen, machte aber Platz am Tisch, damit Henry sich setzen konnte. »Warum sollte ich dich nicht gefangen nehmen oder dich gleich beseitigen, nachdem du dich freiwillig in meine Gewalt begeben hast?«
»Weil ich Euer Neffe und Euer Gast bin und die Gebote der Gastfreundschaft heilig sind«, gab Henry zurück. »Und weil ich in friedlicher Absicht gekommen bin, um mit Euch zu reden.«
Stephen hob die Brauen. »Reden? Worüber denn?«
Henry zuckte die Achseln. »Ihr habt bislang nur voreingenommene Gerüchte über mich gehört. Vielleicht möchtet Ihr mich ja persönlich kennen lernen und Euch selbst ein Bild von mir machen. Ich an Eurer Stelle würde das tun.«
»Vielleicht sprechen Purton und Cricklade für sich?«, spottete Stephen.
»Das war töricht von mir, das habe ich inzwischen eingesehen. Ich hätte die Burgen nicht angreifen sollen.«
Ein Diener trug eine Mahlzeit und Wein für den »Gast« auf, und Henry machte sich mit dem gesunden Appetit eines Heranwachsenden und ohne jegliche Befangenheit darüber her.
»Bist du hier, um deiner Mutter einen Strich durch die Rechnung zu machen?«, fragte Stephen. »Oder soll sie dir mehr Aufmerksamkeit schenken?«
»Weder noch«, erwiderte Henry kauend. »Sie wird außer sich sein, wenn sie es erfährt, aber ich tue mein Bestes, um meine Pflicht ihr gegenüber zu erfüllen.« Er hielt inne und lehnte sein Messer gegen seine Platte. »Und außerdem hat sie Recht; ich sollte England verlassen.«
Henry schien jedoch nicht die Absicht zu haben, rasch wieder abzureisen. Er nistete sich an Stephens Hof ein und machte sich bald bei allen beliebt. Er nahm an den lärmenden abendlichen Vergnügungsveranstaltungen teil und ließ einen zotigen männlichen Sinn für Humor erkennen, der jeden für ihn einnahm, auch Stephen, der beschlossen zu haben schien, die ihm entgegengeschleuderte Herausforderung anzunehmen. Henry bestritt Ringkämpfe mit den älteren Knappen, wobei er großes Geschick bewies, unterhielt sich mit den Baronen und Kaplanen, die schnell sein großes Wissen und seine ausgeprägte Intelligenz erkannten, und erwies sich sogar als guter Tänzer.
Will fragte sich, was
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