Die Hueterin der Krone
mit einem erwachsenen Mann von Rang und Ansehen vermählt gewesen. Adeliza verstand nicht, wie sehr Matilda ihr Leben in Deutschland vermisste. Hier schien jeder gegen sie zu sein oder zu glauben, diese Ehe sei ein Glücksfall. Sie betrachteten ihr widerwilliges Verhalten lediglich als Laune einer dummen, wankelmütigen Frau, die ihren Platz in dieser Welt besser kennen sollte. Diejenigen, denen die Heirat missfiel, waren entweder die Feinde ihres Vaters oder verfolgten eigene Ziele und Pläne. Der einzige Mensch, auf den sie sich verlassen konnte, war sie selbst, und deswegen fühlte sie sich einsamer als je zuvor.
Adeliza küsste sie.
»Ich muss meinen Umhang holen und nach dem Rechten sehen«, sagte sie. »Aber ich rate dir um deiner selbst willen, über meine Worte nachzudenken.«
»Ich mache mir Sorgen um Matilda«, sagte Adeliza, als sie niederkniete, um Henry die Schuhe auszuziehen und sie neben den Schaffellläufer am Bett zu stellen. Es war schon spät, und sie hatten sich in ihre Kammer in der Festung Brionne zurückgezogen, wo die Hochzeitsgesellschaft auf der Reise nach Le Mans die Nacht verbrachte.
Henry wischte ihre Besorgnis mit einer schroffen Geste beiseite.
»Sie ist meine Tochter, und sie weiß, was von ihr erwartet wird, genau wie dieser junge angevinische Heißsporn.« Er gab einen amüsierten Grunzlaut von sich. »Der Bursche hat schon Erfahrung. Nicht, dass er mir das selbst gestanden hätte, und ich achte nicht auf das Geprahle dieser jungen Gockel, die andauernd um ihn herumschwirren, aber ich habe aus sicherer Quelle erfahren, dass er nicht mehr unberührt ist. Er weiß also Bescheid, und wenn es Gottes Wille ist, wird er sie schon in der Hochzeitsnacht schwängern.«
Adeliza massierte langsam seine Füße.
»Trotzdem mache ich mir Gedanken. Es ist ein großer Schritt für sie, und sie ist mir sehr ans Herz gewachsen.« Sie lächelte etwas gequält. »Ich werde sie nicht nur als Tochter vermissen, sondern auch als Freundin.«
»Matilda wird zu Besuch kommen, und ihr könnt euch schreiben«, knurrte er. »Bei euch Frauen steht das Mundwerk nie still, aber du hast ja deine Hofdamen, die dir Gesellschaft leisten, und du musst deine Pflichten und Aufgaben als meine Königin erfüllen. Du hast also mehr als genug zu tun.«
Adeliza lächelte zu ihm empor, hatte aber Mühe, sich ihren Kummer nicht anmerken zu lassen. Bücher und Leprakrankenhäuser, Wohltätigkeit und die Verteilung kleiner Privilegien. Sie hegte nicht den Wunsch, in der Welt der Männer eine führende Position einzunehmen, sondern sehnte sich verzweifelt danach, ihre Rolle als Königin und Frau auszufüllen. Jedes Mal, wenn er bei ihr lag, jedes Mal,wenn ihre Blutung einsetzte, verstärkte sich ihre Überzeugung, kläglich versagt zu haben.
»Und Euch habe ich ja auch noch, Mylord.«
Henry zog sie hoch und küsste sie.
»Ich gestehe ja auch, dass sie mir fehlen wird, aber sie muss diese Verbindung für mich eingehen. Und jetzt komm, tröste mich. Es ist schon eine Weile her.«
Adeliza gab sich ihm gerhorsam hin, wie es sich für eine gute Ehefrau schickte. Seit einiger Zeit teilten sie nur noch selten das Bett. Henry schlief noch immer mit den Hofkonkubinen, aber da sich ihre Blutung jeden Monat einstellte, hatte er sich von ihr zurückgezogen, als sähe er keinen Sinn darin, sich unnötig zu verausgaben. Er bevorzugte dralle, üppige Frauen, wohingegen Adeliza schlank und zartgliedrig war und keine nennenswerten Kurven aufwies. Obwohl sie sich immer willig zeigte, wenn er zu ihr kam, war der Akt schmerzhaft, wenn auch selten von längerer Dauer. Henry kam immer so schnell zur Sache wie ein Bulle auf der Weide.
Als er zum Ende gekommen war und sich von ihr herunterrollte, fragte sich Adeliza, ob es für Matilda und Geoffrey genauso sein würde, und als sie ihre Kleider glattstrich, erinnerte sie sich daran, was sie zu Matilda über den Unterschied zwischen einer Belohnung und einer schweren Prüfung gesagt hatte, und einen Moment lang brannten Tränen in ihren Augen.
Matilda blickte den funkelnden Goldring an, den Geoffrey ihr an diesem Morgen in der Kathedrale Saint-Julien in Le Mans an den Finger gesteckt hatte. Die Pracht und die Atmosphäre in der Kirche hatten den Schutzwall durchdrungen, mit dem sie sich umgeben hatte, und sie war von ehrfürchtigem Staunen erfüllt, als sie neben ihrem Knabenbräutigam vor dem Altar die Messe hörte. Sie spürte die Erhabenheit und Herrlichkeit Gottes, und deshalb lastete es
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