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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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der ihr aufs Wort gehorcht. Lenchen ist wie ihr Kind.«
    Die Kleine atmete schwer. Er legte ihr die Hand auf die Stirn.
    »Gefällt mir gar nicht, dass sie wieder heiß ist …«
    Sie sah, wie er zusammenschreckte.
    Die Bande war zurück. Kunis Beute war eine tote Henne, die auf dem Boden dunkle Blutspritzer hinterließ. Toni schien einen halben Hühnerstall ausgeräumt zu haben, so viele Eier beulten seinen Beutel aus, während Kaspar sich ein paar Wecken Brot unter die Arme geklemmt hatte.
    »Was will die denn hier?« Kunis Gesicht verzog sich, aber es war kein Lächeln. »Rede!«
    Selina erhob sich steif. Alle Worte steckten in ihrem Hals fest. Aber die Frage galt einzig und allein Lenz.
    »Sie hat mich besucht«, sagte er.
    »Ach was! Schnüffeln wollte sie. Aber wir brauchen keine Schnüffler. Sag ihr das.«
    Auch die beiden Jungen sagten irgendetwas. Selina sah Gesichter, mahlende Lippen, Kinne, die sich schnell bewegten. Die Worte hüpften einfach weg, von einem Lippenpaar zum anderen. Jetzt fühlte sie sich wirklich taub – taub und schrecklich dumm.
    Kuni schwang ihre Rechte, die immer noch die tote Henne umklammert hielt, und kam ihr dabei immer näher.
    »Nun gut, dann muss ich es eben tun – Feigling!« Sie streifte Lenz mit einem unfreundlichen Blick. Dann ging sie zu Selina.
    »Ich hab ihr den Hals umgedreht.« Sie hielt die Henne an den Füßen und ließ sie drohend vor ihr hin und her baumeln. »Gerade eben.« Kuni hatte Zähne, die wie bei einer Katze an den Ecken spitz zuliefen, und eine rote Zunge. »War ganz einfach. Soll ich das auch bei dir machen?«
    »Lass Selina in Ruhe!«, rief Lenz, rührte sich aber nicht von der Stelle. »Sie hat dir doch nichts getan.«
    »Woher willst du das wissen?« Kuni versetzte Selina einen Stoß. Das Mädchen machte einen Schritt rückwärts und einen weiteren, als der nächste Stoß kam, härter, aggressiver. »Ich will dich hier nicht mehr sehen!« Kunis Augen funkelten. »Niemals wieder! Hast du das verstanden?«
    Selinas Kopf war auf einmal wie festgefroren. Nicht einmal nicken konnte sie noch. Wie eine von Simons Holzfiguren kam sie sich vor, so starr, so stumm.
    Kunis freie Hand fuhr zum Gürtel und riss mit einem Ruck Selinas Säckchen ab. Sie warf es Lenz zu und nickte zufrieden, als er es reflexartig fing.
    »Schreib es ihr auf!«, befahl sie. »Damit deine Taube es ein für alle Mal kapiert.«
    »Wenn du nicht sofort damit aufhörst …«
    Selina wartete nicht auf Kunis Antwort. Sie drehte sich um, lief die Treppe hinunter und riss die Tür auf. Als sie draußen war, begann sie zu rennen.
    Erst als sie das Ufer ein ganzes Stück hinter sich gelassen hatte, blieb sie keuchend stehen. Lenz war ihr nicht nachgekommen, natürlich nicht. Gerechnet hatte sie nicht damit – und es insgeheim doch gehofft. Aber die Bande bedeutete ihm mehr als sie.
    Selina schloss die Augen und machte keine Anstalten, die Tränen zurückzuhalten. Das Weinen tat gut.
    Marie würde einen Anfall bekommen. Der Gürtel war zerrissen, Tafel und Kreide lagen in der Mühle. Auf dem neuen Kleid hatte Hühnerblut seine dunkle Spur hinterlassen.

    »Trink diesen Tee aus Fenchelsamen. Dann wird deine Milch wieder besser fließen.« Die junge Frau wirkte so erschöpft, dass sie kaum noch nicken konnte. Das Kind an ihrer Brust war eingeschlafen. Ava musterte sie besorgt. »Hast du mich verstanden, Elisabeth?«
    »Ja«, sagte sie. »Ich war schon drauf und dran, sie abzustillen. Aber sie ist doch noch so klein und schwächlich.«
    »Finchen braucht deine Milch«, sagte Ava. »Das ist viel besser als Brei und Grütze und wird sie später umso robuster machen. Aber die Kleine ist nicht deine einzige Sorge, oder?«
    »Ja«, sagte die junge Frau. »Franz hat immer so schlimme Augen. Manchmal hab ich Angst, dass er blind wird.«
    »Eine Spülung aus Augentrost, Kamille und Fenchel könnte vielleicht helfen.« Ava stand auf und ging nach nebenan. Wenig später kehrte sie mit einem kleinen Säckchen zurück. »Ein Löffel voll in einen Becher und mit heißem Wasser aufgießen. Dann nimmst du einen sauberen Leinenstreifen – sauber, hast du gehört? –, machst ihn gut nass und legst ihn ihm als Kompresse auf die Augen.«
    »Und das hilft?« Das Erstaunen stand in dem blassen Gesicht geschrieben.
    »Manchmal«, sagte Ava. »Stillhalten muss er. Auch wenn’s schwer fällt. Und Garantie gibt es keine. Wir müssen es eben ausprobieren. Wenn es nach einer Woche nicht besser wird, bringst du ihn

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