Die Hüterin der Quelle
genötigt, ihre Taktik zu ändern.
»Du könntest mir noch immer entgegenkommen«, sagte sie, leise und deutlich freundlicher. »Du weißt schon, was ich meine. Dann wäre ich gern bereit, einiges zu vergessen.«
»Noch immer auf der Suche nach einem Liebeszauber?« Ava gab sich keine Mühe, ihre Stimme zu dämpfen.
»Nicht so laut! Du musst ja nicht gleich den ganzen Markt zusammenschreien! Also, was ist? Kann ich mit dir rechnen? Oder willst du weiterhin deine Kräutergeheimnisse für dich behalten?«
Avas braune Augen begegneten den wasserblauen von Agnes. Wut las sie darin. Enttäuschung. Aber auch Verzweiflung.
»Die Liebe ist ein Kind der Freiheit«, sagte sie. Plötzlich tat die andere ihr beinahe Leid. Aber Veit würde sie trotzdem nicht mit ihr teilen. Und einen Rüffel hatte sie allemal verdient. »Es gibt keinen Zwang, kein Rezept. Hat es niemals gegeben! Ist die Liebe vorüber, lässt sich nichts mehr daran ändern. Das ist das einzige Geheimnis, das ich kenne. Fang damit an, was du willst!«
Agnes wollte etwas antworten, aber sie kam nicht mehr dazu.
Lautstark hatte Kunis Bande inzwischen den Stand umringt.
»Da seid ihr ja!« Ava war erleichtert, als die Pacherin abzog. Natürlich hatte sie ihre Abschiedsgeste nicht übersehen, den ausgestreckten Mittelfinger der linken Hand, wütend gegen sie erhoben.
»Und wie laufen die Geschäfte?« Ava hatte die Kinder in ihrem Liebesglück nicht vergessen. Sie waren nur für eine Weile in den Hintergrund gerückt.
»Gar nicht so übel«, sagte Toni stolz. »Lenchen und ich sind ein prima Gespann. Ich singe, und sie sieht dabei so verhungert aus, dass viele Mitleid bekommen. Knauserig wie alte Pfeffersäcke sind sie zwar nach wie vor, aber ab und zu fällt trotzdem etwas ab.« Er zog eine übertrieben weinerliche Grimasse. »Heute allerdings war es besonders wenig. Du hast nicht zufällig ein winziges Fischlein übrig?«
»Natürlich«, sagte Ava. »Dieser ganze Korb ist für euch bestimmt. Zwei Brote liegen auch dabei.«
Hungrig stürzten sie sich drauf und stopften, was sie nicht gleich verschlingen konnten, in ihre Beutel.
»Es ist schön in der Mühle.« Kaspars Mund glänzte vor Fett. »Außerdem hat Lenz versprochen, mir einen Drachen zu bauen. Aber ich muss noch warten, bis die Herbstwinde richtig wehen. Dann lassen wir ihn zusammen steigen.«
»Lenz hält bei weitem nicht alles, was er verspricht.« Kuni leckte sich jeden Finger einzeln ab. Den Rest verrieb sie auf ihrem Rock. »Daran solltest du dich beizeiten gewöhnen. Auch wenn du sein kleiner Bruder bist.«
Der große Junge warf ihr einen scharfen Blick zu, sagte aber nichts. In den letzten Wochen war Lenz ein auffälliges Stück gewachsen. Trotz der knochigen Schultern wirkte er plötzlich erwachsen.
»Und meine Kleine?« Ava legte ihre Hand sanft auf die rote Haube. »Wie geht es dir?«
»Gut, aber ich will wieder zu dir«, flüsterte Lenchen. »Und zu Reka. Aber nur, wenn der Mann nicht da ist.«
»Weshalb?«, sagte Ava überrascht. »Magst du ihn nicht?«
Lenchen presste die Lippen aufeinander.
Sie kannte ihn. Sie hatte ihn mit ihrer Mutter im Badehaus gesehen. Er hatte sie geküsst und lachend auf seinen Schoß gezogen, ganz ähnlich wie er Ava küsste und umarmte. Aber das würde sie ihr nicht verraten.
»Ich muss dir noch etwas erzählen.« Mit wildem Gestikulieren strengte Toni sich an, Avas Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Ein Mann folgt mir. Aber bis jetzt hat er mich noch nicht gekriegt. Er hält sich für sehr schlau, doch ich weiß längst, dass es der Teufel persönlich ist ...«
»Jetzt fängt er schon wieder damit an!«, zeterte Kuni. »Du bist unerträglich, Toni! Kein Mensch will mehr deine Lügenmärchen hören – wann kapierst du das endlich?« Sie seufzte wie eine schwer geplagte Mutter. »Komm, wir müssen los.« Sie beugte sich näher zu Ava. »Wenn wir Glück haben, können wir die Hechtmühle vielleicht sogar über den Winter behalten. Dann müssen wir dir nicht zur Last fallen«, sagte sie halblaut. »Jetzt, wo du andere Dinge im Sinn hast.«
Ava ließ sich die Überraschung nicht anmerken.
Hatte Lenchen geplaudert? Sie war die Einzige, die Veit bei ihr gesehen haben konnte.
Ihr seid mir noch nie eine Last gewesen, wollte sie eigentlich entgegnen. Und falls es mir doch einmal zu viel wird, dann sage ich es euch. Aber sie tat es nicht. Zurzeit genoss sie ihr Alleinsein mehr denn je.
Sie zog Kuni enger heran.
»Wie steht es eigentlich mit
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