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Die Hüterin des Evangeliums

Die Hüterin des Evangeliums

Titel: Die Hüterin des Evangeliums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Galvani
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einen heißen Nachmittag.
    »Ihr meint sicher, dass niemand vor seinem Schicksal fliehen kann«, entschied Christiane und wunderte sich, dass sie ihren Gedanken laut aussprach.
    »Nein«, widersprach er in einem Ton, der sie erschauern ließ. Doch seine Miene veränderte sich, er lächelte sie endlich an, und sie war überzeugt davon, ihn falsch verstanden zu haben. »Ihr seid eine schöne Frau und werdet sicher von einem ehrenwerten Mann vor dem Klosterleben errettet werden«, meinte er charmant.
    Sie trank noch einen großen Schluck Wein. Je mehr sie davon zu sich nahm, desto stärker wurde ihr Durst. »Wer weiß. Meine Ehe war nicht gerade als glücklich zu bezeichnen, und ihr Ende ...«, in beredtem Schweigen brach sie seufzend ab.
    »Severin Meitinger hatte kein Glück mit seinen Frauen, obwohl er zweifellos die besten Weiber sein Eigen nennen durfte, die Gott schuf.«
    »Ihr müsst es wissen.«
    Er sah sie verwundert an. Sein Gesicht lag im Schatten, so dass sie nicht in seinen Augen lesen konnte. »Ihr habt gehört, mit wem er vor Euch verheiratet war? Ich hätte schwören können, dass Severin und Titus den Namen meiner Schwester vor Euch verheimlichten.«
    »Mein Vater hat mir erzählt, dass Ihr nicht nur Meitingers Bruder im Geiste gewesen seid, sondern tatsächlich verschwägert. Daran ist doch nichts Verwerfliches. Warum wurde darum ein Geheimnis gemacht?«
    »Sie war eine wundervolle Frau, der Inbegriff dessen, was uns die Heilige Schrift über ein Weib lehrt: duldsam, gläubig, unbeeinflusst nach dem Willen Gottes lebend, dem Manne stets treu ergeben.«
    Imhoffs schwärmerische Beschreibung klang nicht nach einer Person, die ihrem Gatten eine Fluchtafel überließ. Christiane überlegte, ob sie ihn nach Karls Fund fragen sollte, als sie ihn plötzlich flüstern hörte: »Ich habe sie geliebt.« Merkwürdigerweise klangen seine Worte nicht nach der Zuneigung eines Bruders, sondern nach der Sehnsucht eines Liebhabers.
    »Ihr habt meine Frage nicht beantwortet«, erinnerte sie leise. Um ihren Herzschlag zu beruhigen, hob sie den Becher an ihre Lippen, doch nach einem Schluck Wein hämmerte es noch stärker in ihrer Brust.
    »Weil Severin irgendwann begriff, dass er sie mir fortgenommen hat«, erwiderte Imhoff ohne Umschweife und mit Bitterkeit in der Stimme. »Ich wollte nicht, dass er sie heiratet. Sie war ihm schutzlos ausgeliefert, als ich einmal auf Reisen war, und er nahm sie sich einfach. Genau genommen verführte und schwängerte er meine Schwester.«
    Christiane konnte sich kaum vorstellen, dass ihr Mann eine anständige, unverheiratete, junge Frau in eine derartige Situation gebracht haben sollte. Andererseits hatte sie in den Tagen seit seinem Tod genug über Meitinger erfahren, um ihr Bild zu korrigieren. Warum also sollte nicht stimmen, was Imhoff mit mühsam gezügelter Wut behauptete? »Was ist aus dem Kind geworden?«, wollte sie von dem untröstlichen Bruder wissen.
    »Sie hat es nicht bekommen«, seine Zähne mahlten aufeinander, seine Kieferknochen bewegten sich in einem unangenehmen Rhythmus hin und her. »Ich habe dafür gesorgt, dass sie es nicht bekommen konnte. Und nie wieder ein anderes.«
    Ein kalter Schauer ließ Christiane frösteln. Sie hoffte, durch ein wenig Wein mehr Wärme zu spüren. Doch ihr blieb kalt. Das Karussell in ihrem Kopf drehte sich indes schneller. »Was habt Ihr getan?«
    Er schwieg, hing seinen Gedanken nach und überlegte wohl, was er ihr anvertrauen durfte. Schließlich schlug er sich mit der flachen Hand auf den Schenkel. »Ihr wollt die Wahrheit, nicht wahr? Mir war von Anfang an klar, dass es mit Euch nicht einfach sein würde. Ihr seid zu klug, um die alten Geschichten ruhen zu lassen. Aber auch ich bin schlau, Christiane Meitinger, verlasst Euch drauf.«
    Was meinte er nur? Wenn sie doch endlich in der Lage wäre, ihre Vernunft wieder so walten zu lassen, wie sie es sich für diesen Ausflug vorgenommen hatte. Ihre Augen flogen zu dem Stallknecht, der im Schatten der Pferdeleiber vor sich hin döste und sowieso kein Wort von dem mitbekam, was zwischen ihr und Imhoff gesprochen wurde.
    »Ich habe sie gevögelt«, brach es unvermittelt aus Georg Imhoff heraus. »Ich habe sie geliebt wie ein Mann und wusste gleichsam, dass Severin sie danach nie wieder berühren würde.«
    Die Französische Krankheit. Es fiel Christiane wie Schuppen von den Augen. Wenn Imhoff bereits damals infiziert gewesen war, hatte er seine Schwester womöglich angesteckt. Dann war sie

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