Die Hüterin des Evangeliums
...« Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf den Papierstapel.
Was für eine Frage!, dachte Christiane verärgert über das anmaßende Verhalten des Gelehrten, der noch immer nur Gast in Severins Schreibstube war. Selbst wenn Karl die Fälschung kannte oder sogar selbst heimlich in Meitingers Druckerei hergestellt hatte, würde er dies unter keinen Umständenzugeben. So dumm war niemand. Sie sah Karl an, doch dessen Miene blieb so unbeweglich wie das Pressfundament, an dem er arbeitete.
»Ja, Herr, ich sag’s Euch. Und nein, ich kenn’s nicht.«
Von Hallenslebens Gesichtsfarbe veränderte sich ob dieser impertinenten Formulierung. Rote Flecken verunzierten seine Wangen. Er rang um Atem, öffnete den Mund zu einer Antwort und schloss seine Lippen wieder.
»Du kannst gehen«, sagte Titus ruhig. Schwer atmend ließ sich der Greis auf einem Stuhl am Fenster nieder.
Christiane ahnte, dass er diesen Platz wählte, weil er sich am nächsten zum Licht befand. Kerzenschein allein reichte ihrem Schwiegervater schon lange nicht mehr zum Lesen, Sonne eignete sich am besten, aber selbst das grau-milchige Licht dieses Regentages war besser als eine Ölfunzel. Sie war geneigt, ihn für seine stoische Ruhe zu bewundern. Es kam nicht oft vor, dass er auf solche Art den Herrn im Haus herauskehrte; meistens benahm er sich griesgrämig und zänkisch.
Nachdem Karl gegangen war und seine Schritte auf der Treppe verklangen, fragte Titus: »Also, Herr von Hallensleben, was führte Euch hierher?«
»Ich möchte Euch mit dergleichen nicht belasten«, hob der Besucher an und ordnete die Blätter nervös, offenbar um Zeit zu gewinnen und mit sich kämpfend, ob er Titus Meitinger in seine Befürchtungen einweihen sollte.
Wohlüberlegt mischte sich Christiane ein: »Ich muss Euch im Namen meines Gatten danken, Herr von Hallensleben, dass Ihr mit den mysteriösen Druckwerken zuerst hierher gekommen seid und nicht gleich den Stadtrat angerufen habt. In Severins Abwesenheit wäre es jedoch, wie ich Euch bereits sagte, von Nutzen, wenn Ihr Euch mit dem Schwäher besprechen würdet.«
»Welch kluges Wort von diesem Weib!«, bemerkte Titus.
Von Hallensleben schien zu seiner gewohnten Kontenance zurückgefunden zu haben. Er verneigte sich leicht vor Christiane. »Meine Freundschaft zu Eurem Mann ist mir wertvoll und wichtig.« Danach wiederholte er die kleine Verbeugung vor dem alten Meitinger: »Euer Sohn ist meiner Meinung nach der beste Druckermeister in Augsburg, dem kann keiner das Wasser reichen. Deshalb bin ich so aufgebracht über meinen Fund. Handwerkliches Geschick für den Betrug zu missbrauchen, ist eine Sünde.«
»Nun lasst Gott mal aus dem Geschehen und berichtet, was Ihr wisst, Herr von Hallensleben.«
Christiane konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Der alte Titus überraschte sie immer mehr. Um ja nicht von den beiden Männern hinausgeschickt zu werden, raffte sie ihre Röcke, schob mit der freien Hand einen Bücherstapel zur Seite und setzte sich auf die Bank neben dem Pult. Erwartungsvoll blickte sie zu von Hallensleben auf.
Dessen Augen flogen von ihr zu ihrem Schwiegervater, doch der Gelehrte kapitulierte wohl vor der eisernen Entschlossenheit des Alten und hielt sich nicht damit auf, zu diskutieren, ob die Anwesenheit der Hausfrau noch gerechtfertigt sei. Dann begann er im Raum auf und ab zu marschieren.
»Die Sache geht offenbar zurück auf das zweitägige Verhör durch Kardinal Cajetan, dem sich Martin Luther vor über sechsunddreißig Jahren hier in Augsburg unterziehen musste ...«
»Haltet mich nicht mit Geschichten auf, die ich selbst erlebt habe«, unterbrach Titus ungehalten. »Ihr könnt Euch nicht an die Aufregung erinnern, die herrschte, als die Flucht des Ketzers bekannt wurde. Es wurde nie geklärt, wer die Helfershelfer des Wittenberger Doktors waren. Da gab es viel Gerede. Manche Leute behaupteten gar, der Gesandte des Papstes habe seine Hände im Spiel gehabt, weil dieser dieVerfolgung der Teufelsgeburt nicht zielstrebig genug angegangen sei ...«
»Ihr sagt es«, von Hallensleben blieb vor dem Sitzplatz des älteren Mannes stehen. »Auf diesen Überlegungen scheinen die Fälschungen zu beruhen, die mir übergeben worden sind. Wie mir scheint, will ein dreister Betrüger die Christenheit täuschen. Deshalb behauptet man schwarz auf weiß, die Actae Augustana entsprechen nicht den Tatsachen.«
»Es gab gewisse Veränderungen an der Urschrift des Ketzers, die der Kurfürst von Sachsen
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