Die Hüterin des Evangeliums
ihr nicht einmal sagen, worum es sich im Einzelnen handelte. Dass er überhaupt davon sprach, zeugte von dem unterdrückten Zorn, der ihn hierhergetrieben hatte.
»Ihr solltet Euch mit dem Schwäher unterhalten ...«
»Den alten Titus lasst mal schön aus dieser Sache heraus. Ich bin sicher, dass er nichts damit zu tun hat. Schafft den Gesellen herbei. Wenn einer etwas weiß, dann der Karl.«
Obwohl sie eigentlich viel zu aufgewühlt war, um ihm diesen Wunsch zu erfüllen, fügte sie sich doch in ihre Rolle: »Wie Ihr möchtet. Ich bringe Euren Mantel rasch in die Küche zum Trocknen und hole dann den Gesellen Karl. Wenn Ihr bitte so lange im Schreibzimmer warten wollt.«
»Ich kenne den Weg«, grummelte der Bibliothekar Anton Fuggers und war schon unterwegs. Seine Schultern hingen herab, als trage er eine schwere Last. Dabei war es nur das Päckchen mit dem brisanten Inhalt, das er fest an die Brust drückte.
In diesem Moment war er Christiane erstmals richtig sympathisch – ein aufrechter Mann, der um den guten Ruf seines Freundes bangte. Denn das war sicher der Grund, weshalb er zuerst die Aussprache suchte und den Betrug nicht unverzüglich beim Rat anzeigte.
Allerdings: Von Hallensleben musste wissen, dass Severin Meitinger niemals Unrechtes tun würde. Er kannte ihren Gemahl ebenso wie sie, und Christiane war überzeugt davon, dass diesen keine Schuld traf. Dafür war er nicht nur viel zu rechtschaffen, sondern schlichtweg zu langweilig. Verbotenes zu tun, war ihrer Meinung nach mit Phantasie verbunden – und an der mangelte es dem Druckerverleger ganz erheblich. Doch von Hallensleben schien sich seiner Sache sicher zu sein – und deshalb ging sie in die Werkstatt und rief nach Karl.
Der Geselle war Mitte zwanzig und unverheiratet, weshalb er noch keinen Meisterbrief besaß. Er war ein wortkarger Mann, seinem Herrn zutiefst ergeben, und anscheinend gab es für ihn kein Leben außerhalb der Druckerei. Christiane hatte das Gefühl, er arbeite bei Tag und in der Nacht, genau wusste sie es nicht, da er neben der Presse schlief. Trotz aller Vorzüge, die Karl seinem Meister bot, mochte Christiane Meitingers Gehilfen nicht. Seine eigenbrötlerische Art wirkteverschlagen auf sie, und es wäre ihr lieber gewesen, er würde sich anderswo eine Bleibe suchen. Statt sich diesen Mann vom Leibe zu halten, war sie gezwungen, ihn nun in ihre Wohnung zu bitten.
Karl roch nach Schweiß, schlechten Zähnen, feuchtem Hund und Moder – eine Kombination, die Christianes Magen rebellieren ließ, als er an ihr vorbei ins Schreibzimmer seines Herrn trat. Sie gab dem Impuls, sich sofort zurückzuziehen und frische Luft zu atmen, nicht nach, sondern blieb in der Tür stehen. Zwar war sie nur eine Frau, aber es war ihr Heim, und wenn von Hallensleben meinte, von diesem in Severins Abwesenheit Besitz ergreifen zu können, irrte er gewaltig.
Der Bibliothekar störte sich nicht an ihrer Gegenwart – vielleicht bemerkte er sie nicht einmal. Kaum erschien Karl auf der Bildfläche, legte von Hallensleben sein Mitbringsel auf das ordentlich aufgeräumte Schreibpult. Er hatte das Siegel inzwischen gelöst und schlug das Wachstuch auseinander.
»Siehst du, was das ist?«, herrschte er den Druckergesellen an. »Es sind Briefe von Doktor Luther und Kardinal Cajetan!«
Karls Augen weiteten sich, und er schlug das Kreuz vor seiner Brust, sagte aber nichts.
»Die Schriftstücke sehen auf den ersten Blick aus, als wären es Originale, aber bei näherer Betrachtung erkennt man auf diesem das Wasserzeichen des Papierers Stellczer ...« Von Hallensleben machte eine dramatische Pause, nahm einen Bogen von dem Stapel und hielt ihn gegen das Licht. »Es ist ein Blatt, mit dem dein Meister arbeitet. Hast du eine Erklärung dafür?«
Karl zuckte arglos mit den Achseln. Weder der Ton noch die unausgesprochene Anschuldigung des gelehrten Mannes schienen ihn einzuschüchtern. »Nein, Herr, warum sollte ich?«
»Weil es ein neues Blatt ist. Und weil dein Meister mirselbst erzählte, dass er diesen Beschreibstoff erst seit kurzem benutzt.«
»Die Papiermühle an der Günz wird auch noch andere Druckereien beliefern ...«
In einem ungewohnten Zornesausbruch schlug von Hallensleben mit der Hand auf den Tisch. »Wenn’s so einfach wäre, stünde ich nicht hier. Begreifst du das nicht, Mann?« In einer fahrigen, nervösen Bewegung zog er die schiefsitzende Gelehrtenkappe von seinem Kopf, warf sie auf einen Stuhl und fuhr sich mit der Hand durch das
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