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Die Hüterin des Evangeliums

Die Hüterin des Evangeliums

Titel: Die Hüterin des Evangeliums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Galvani
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übergab. »Erkennt Ihr das nicht, Herr? Halt die Fackel besser, Ulrich, der Herr sieht schlecht ...«
    Bernhard winkte ab. »Das Offensichtliche ist mir bewusst. Ich bedarf keines Lichts, um die Todesursache des armen Teufels hier zu konstatieren.«
    Ein erneuter Blick auf den Toten und sein daraufhin rebellierender Magen erinnerten Wolfgang daran, dass er dringend ein Bier und Abendessen brauchte, am besten zuerst einen Obstbrand. Während er lauschte, wie der Rädelsführer von dem Unglück berichtete, sah er sich vergeblich nach einem Stallburschen um, dem er endlich die Zügel seines Pferdes übergeben konnte. Das Tier scharrte mit dem Huf im Sand und hegte sicher ähnliche Bedürfnisse wie sein Reiter. Doch alle männlichen Anwohner des Weilers schienen abgelenkt von dem Trauerzug.
    »Das Ross kam ohne Reiter zurück in den Stall«, schilderte der Anführer die Geschichte. »Da haben sich die mutigsten Männer auf die Suche nach dem Reisenden gemacht ...«
    »Stunden waren wir bei diesem Sauwetter unterwegs«, unterbrach der vorderste der vierschrötigen Leichenträger. Während er sprach, verlagerte er sein Gewicht von einem Bein aufs andere. »Bis vor kurzem hat es geregnet. Wir haben gedacht, da hatte einer einen Unfall und er sei noch am Leben. Da ist es unsere Christenpflicht zu helfen, nicht wahr? Aber Ihr seht ja, Herr, dem kann auch der Herr Pfarrer nicht mehr beistehen.«
    Durch die Bewegung des Mannes geriet die Trage ein wenig in Schieflage, und ein Lederbeutel fiel auf den Boden. Leise klirrten die Münzen, die sich darin befanden. Bevor einer der Bauern nachdrückliches Interesse anmelden und ihm zuvorkommen konnte, bückte sich Bernhard blitzschnell nach dem Säckchen. Nachdenklich wog er es in seiner Hand.
    Wolfgang fragte: »Gehörte das dem Toten?«
    »Ja«, versetzte Bernhard, »wem wohl sonst? Offensichtlich ist unser Freund hier keinem Raub zum Opfer gefallen. Ich schätze, in dieser Börse befindet sich eine Menge Geld ...«
    »Wo ist der Wirt, der mir ein Bier ausschenkt?«, rief jemand durch den Nebel.
    Gute Frage, fuhr es Wolfgang durch den Kopf. Neugierig spähte er zu dem Fremden, der aus dem nächstgelegenen Tor auf die Menge zumarschierte. Seinem weit ausholenden Schritt war anzumerken, dass seine Geduld am Ende und er das Warten leid war. Ein Reisender also, der nach ordentlicher Verpflegung verlangte. Es war kein junger Herr, dem Habitus nach ein bedeutender Mann in seiner Zunft, denn er war unter dem Zimmermannshut in feinstes Tuch gewandet und bewegte sich, als sei er es gewohnt, anderen Befehle zu erteilen.
    Der Rädelsführer war anscheinend der Wirt der Posthalterei, denn er stellte sich dem Herbergsgast in den Weg. »Verzeihung, Herr. Es ist ein Unglück geschehen. Wir haben im Wald einen Toten gefunden.«
    »Ist da jemand vom Pferd gefallen und hat sich das Genick gebrochen?«, wollte der Fremde ungerührt wissen. »Gott sei ihm gnädig, aber ...«
    »Dem Mann ist der Schädel eingeschlagen worden«, meldete sich Bernhard zu Wort.
    »Ach?« Der vornehme Zimmermann schien erleichtert, mit einem Reisenden sprechen zu können, der einem anderen Stand entstammte als die Bauern um ihn herum. EinenMoment zögerte er, wusste wohl nicht, wie er auf die Mitteilung reagieren sollte. Dann lamentierte er, einen Blick auf die Trage mit dem Toten werfend: »Ein Unglück. In der Tat. Man sollte halt stets vorsichtig sein und ...« Das Wort schien ihm buchstäblich im Halse stecken zu bleiben. Unvermittelt keuchte er, hüstelte atemlos. Er streckte die Hand aus und suchte nach Halt, fasste jedoch ins Leere.
    Mit einem Schritt stand Wolfgang neben ihm. Er stützte den Älteren und wunderte sich insgeheim, wie leicht sich der Leib eines Mannes anfühlte, dessen Stimme schwer und gebieterisch klang.
    »Das ist ... das ist ...« Jetzt entrang sich seiner Kehle nur noch ein Röcheln.
    »Kennt Ihr den Mann?«, erkundigte sich Bernhard Ditmold.
    Der Schweiß brach dem Ärmsten aus allen Poren. »Das ist mein Eidam«, plötzlich flossen die Worte über die schmalen, blutleeren Lippen. »Er heißt ... hieß Severin Meitinger.«

Augsburg,
Mai 1555
14
    Alle Augen richteten sich auf den Tisch. Dieser hatte einen doppelten Boden und in der oberen Platte sieben Löcher. Die Spannung war zum Greifen, dicht an dicht drängten sich die Leiber der Schaulustigen und Wettbegeisterten um das Geschehen. Christiane glaubte, die Körperausdünstungen ihres Nachbarn einzuatmen, dem vor lauter Aufregung der

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