Die Hüterin des Schattenbergs
so wie der Egel das Blut eines Menschen in sich aufnimmt. Das ist der Preis, den sie für das angebliche W ohl der Menschen zahlen.« Er schaute Jemina an. »Das W issen, das zu suchen du gekommen bist, ist ein Zauber, der ein neues Leben an die Schattenmagie bindet, sobald ein altes Leben erlischt. Eine winzige Geste und wenige W örter, die ein junges Leben zu einem frühen T od verdammen.« Er seufzte betrübt. »Verzeih mir, aber das Opfer erschien mir damals angemessen, sollte es doch dazu dienen, den Frieden in Selketien auf ewig bewahren.«
Jemina sagte nichts. Ihr Blick suchte Efta, die für sie immer eine alte Frau gewesen war. »Wie alt bist du geworden?«, fragte sie zaghaft, weil ihr bewusst wurde, dass sie mit Efta nie darüber gesprochen hatte.
Es war Orekh, der antwortete: »Sie starb mit fünfunddreißig Jahren«, sagte er matt. »Galdez lebte vier Sommer länger.«
»Und ich dache immer Efta sei …«
»Fünfzig oder sechzig Jahre alt?« Orekh nickte. »Ja, der Preis ist hoch.«
»Das ist … ein halbes Leben!« Jemina war entsetzt.
Orekh fuhr sich mit den Händen müde über das Gesicht. »Ein weiteres Unrecht, das ich den Menschen angetan habe. Erst nach meinem T od wurde mir all das bewusst, aber da war es zu spät, um noch etwas zu ändern.« Er schaute Jemina an. »Verstehst du nun, warum ich so froh bin, dass du gekommen bist? Du bist meine einzige Hoffnung, dass alles wieder gut wird.«
»Wie kann ich dir helfen?« Jemina fühle sich entschlossener denn je. So wie es war, konnte und durfte es nicht weitergehen.
»Du musst das Herz zerstören, das den Schattenzauber nährt, ehe Corneus seine Magie einsetzen kann«, erklärte Orekh. »Dann sind die Schatten mit einem Schlag frei.«
»Und wo finde ich dieses Herz ?«
»In einem geheimen Gewölbe tief unter der Feste der Magier«, erwiderte Orekh. »Dort steht ein gewaltiger Glaszylinder, in dem eine grüne Flüssigkeit pulsiert. Steine des Schattenbergs schwimmen darin. Ich würde ihn dir gern zeigen, aber der Ort ist durch einen Zauber gegen magische Blicke geschützt.« Orekh stockte kurz und sagte dann: »Das ist leider nicht das einzige Hindernis. Den W eg dorthin habe ich mit sieben magischen Barrieren gesichert. Nur wenige Eingeweihte wissen, wie sie überwunden werden können.«
»Aber Ihr wisst es doch auch.« Jemina schaute Orekh hoffnungsvoll an.
»Ja, ich weiß es.« Orekh nickte. »Aber es würde dir nicht weiterhelfen, denn du bist nicht fähig, Magie zu wirken.«
»Wie soll ich dann jemals zu diesem Herz gelangen können?« V erzweiflung schwang in Jeminas Stimme mit.
»Wenn es dir gelingt, V erbündete zu gewinnen, wirst du gewiss eine Möglichkeit finden.«
»Verbündete? Bei den Magiern? Das ist unmöglich.« Jemina schüttelte niedergeschlagen den Kopf. Dabei fiel ihr Blick auf ihre Hand und sie erschrak. »Oh Schatten, ich muss zurück. Das Band ist schon sehr dünn.« Sie schaute Orekh, Galdez und Efta nacheinander an. »Habt Dank für Eure Offenheit«, sagte sie und lächelte. »Ich kehre zwar nicht mit dem W issen zurück, das zu suchen ich gekommen bin. Dafür aber mit der W ahrheit. Ich wünschte, ich könnte die Fehler der V ergangenheit ungeschehen machen. Doch dafür ist es zu spät. So bleibt mir nur, euch zu versichern, dass ich alles tun werde, um dem W illen der Götter den W eg zu bereiten. Ich werde es versuchen – auch wenn ich jetzt noch nicht weiß, wie ich das anstellen soll.«
»Du hast dir nichts vorzuwerfen, mein Kind. Gräme dich nicht zu sehr«, sagte Galdez. »Du bist klug und mutig und du bist nicht allein. Mit etwas Glück kannst du gemeinsam mit Rik mehr erreichen, als du für möglich hältst. Du wirst dem W eg zum Herz der Schattenmagie finden, dessen bin ich gewiss.«
»Ich wünschte, ich könnte deine Zuversicht teilen. A ber ich fürchte, diese A ufgabe ist zu groß für uns.« Jemina seufzte. »Wie auch immer, es wird nicht besser, wenn ich noch länger hierbleibe. Ich muss sofort zurück. W as muss ich tun?«
»Wenn wir das wüssten, wären wir wohl alle nicht mehr hier.« In Galdez’ Gesicht wechselte W ehmut mit Bedauern.
Jemina starrte Galdez verblüfft an »Aber im Buch des Lebens steht, dass die Geister der A hnen mir bei der Rückkehr helfen werden.« Sie wandte sich an Orekh: »Das habt Ihr doch selbst so aufgeschrieben.«
»Nun … ich war alt und habe mich da vielleicht von der Hoffnung leiten lassen, dass es so sein würde.« Orekh senkte beschämt den Blick.
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