Die Hüterin des Schattenbergs
Rückseite der Feste, der sich mehr als fünf Mannslängen über dem Boden erhob und von einer hüfthohen Mauer aus Stein umgeben war.
Die A ussicht über die grüne Hügellandschaft war atemberaubend und Jemina überlegte mit gemischten Gefühlen, wie es wohl sein würde, Selketien vom Rücken eines Schwertdrachens aus der Luft zu betrachten. A n einer Seite des Landeplatzes befand sich ein Gebäude, in dem das Reitgeschirr für die Drachen aufbewahrt wurde. V ier Bedienstete waren gerade dabei, einen riesigen Ledersattel auf den Platz zu tragen. Jemina beobachtete, wie die Männer den Sattel zu einer doppelt mannshohen und recht sonderbar anmutenden Rampe schleppten. Diese bestand aus zwei breiten T reppen, die parallel nebeneinander in der Mitte des Platzes errichtet und auf dem höchsten Punkt mit einem hölzernen Gestell verbunden worden waren. Zwei Männer wählten die Stufen auf der einen Seite, die beiden anderen die Stufen auf der anderen Seite. Schritt für Schritt erklommen sie die steile Rampe im absoluten Gleichschritt, ein Unterfangen, das sie angesichts des gewaltigen Sattels an die Grenzen der Belastbarkeit bringen musste. Sie keuchten und schwankten, aber sie gaben nicht auf, sondern kämpften sich Stufe um Stufe voran, bis der Sattel schließlich hoch oben zwischen den beiden Rampen in der Halterung thronte.
»Warum tun sie das?« Jemina richtete die Frage an Ulves, der rechts neben ihr stand und die Männer ebenfalls beobachtet hatte.
»Ohne Sattel und Geschirr können die Drachen nicht geritten werden«, erwiderte Ulves. »Das war viele Jahre ein großes Problem, denn die Sattel sind viel zu groß und zu schwer, als dass ein Mensch sie auf den Leib eines Drachen heben könnte. Durch den Einsatz dieser Rampen ist es uns nun möglich, die Schwertdrachen schnell und sicher aufzuzäumen.« Jemina ertappte sich dabei, wie sie den Himmel nach der Silhouette eines Drachen absuchte – und sie wurde nicht enttäuscht. W eit im Norden entdeckte sie einen Schatten, der rasch an Größe gewann, während er sich der Feste mit majestätisch anmutendem Flügelschlag näherte. Jeminas Herz pochte vor A ufregung. Es war ihr unmöglich abzuschätzen, wie weit der Drache noch entfernt war, aber sie spürte schon jetzt, wie ihr die Kehle angesichts der gefürchteten Riesenechse eng wurde.
»Keine Sorge, sie sind zahm.« Corneus deutete ihre bangen Blicke richtig. »Orekh hat ihren W iderstand gebrochen. Selbst wenn sie es wollten, sie können nicht anders, als den Magiern zu dienen.«
»Dann haben Menschen und Drachen ja einiges gemeinsam.« Rik, der sich an Jeminas anderer Seite befand und den Drachen beobachtete, murmelte die W orte so leise vor sich hin, dass nur Jemina es hören konnte. »Schhht!« Sie versetzte Rik mit dem Ellenbogen einen Stoß in die Rippen. Rik war unmöglich. Konnte er die Dinge denn nicht einmal so hinnehmen, wie sie waren?
Jemina schüttelte unmerklich den Kopf. W as immer in Rik vorging, es war gefährlich, so etwas zu sagen. A uch wenn es in Selketien nur noch wenige Unreine gab, waren die Häscher der Magier nach wie vor wachsam. Ein einziger Hinweis genügte, um jemanden wie Rik ins V isier der Häscher zu bringen. V or allem W utsausbrüche, aber auch abfällige Bemerkungen, wie Rik sie hin und wieder von sich gab, galten allgemein als ein Zeichen für Unreinheit.
Jemina hatte schon selbst einmal erlebt, wie ein Mann, der nahe ihres Heimatdorfes gelebt hatte, von den Häschern gefangen genommen und zur Feste der Magier gebracht worden war. Er war nie wieder zurückgekehrt.
»Der Drache wird gleich landen«, unterbrach Ulves ihre Überlegungen. Seine Stimme war voller Ehrfurcht. Der Schwertdrache war inzwischen so nahe, dass Jemina mühelos die drei spitz zulaufenden Fortsätze an seinem Stirnpanzer erkennen konnte, denen er seinen Namen verdankte. Einer verlief genau in der Mitte der Stirn senkrecht nach oben, die beiden anderen sprossen jeweils rechts und links aus dem äußeren Rand der Stirnplatte. Jeder einzelne war so lang wie ein Unterarm und hatte große Ähnlichkeit mit den in Selketien gebräuchlichen Kurzschwertern.
Obwohl furchteinflößend, war es das schönste W esen, das Jemina jemals gesehen hatte. Die handtellergroßen Schuppen waren von der Farbe reifer Kastanien und glänzten rötlich im Sonnenlicht. Die gewaltigen Schwingen schienen aus einer A rt Leder in derselben Farbe zu bestehen, das im Gegensatz zu den Schuppen fast durchscheinend wirkte. Der lange
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