Die Hure Babylon
hauchte einen Kuss auf ihre beringten Finger.
»Ihr seid hier jederzeit willkommen, mein guter Arnaut. Ich werde der Leibwache ausrichten, Euch Zutritt zu gewähren, wann immer Ihr es wünscht.«
Damit ließ sie ihn stehen und kehrte zu ihrem Gefolge zurück. Ein seltsames Gespräch. Wollte sie ihn als Boten benutzen? Sollte er Bertran andeuten, dass die Königin, ja vielleicht sogar der König selbst, seinem Anliegen wohlwollend gegenüberstehen würde? Es hatte fast geklungen, als suchte sie Verbündete unter den Tolosanern. Aber zu welchem Zweck?
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Arnaut, Severin und
Fraire
Aimar waren den langen Weg zur Zitadelle aufgestiegen, die hoch oben auf der Spitze des Silphius thronte, und saßen nun, dem blauen Himmel ganz nahe, auf einem Felsbrocken unterhalb der Ringmauer.
Die Aussicht war überwältigend. Das breite Tal des Orontes lag ihnen zu Füßen, blaue Berge im Hintergrund, unten der Fluss, der sich seinen Weg an der Stadtmauer vorbei durch die grüne Landschaft in Richtung Meer bahnte, wo sie ganz fern im Dunst des warmen Tages ein paar winzige Türmchen von Saint Simeon zu erkennen glaubten.
Von hier oben konnte man die gewaltigen Ausmaße der Stadtmauern am besten einschätzen. Ein Wachturm reihte sich an den anderen, Ausfalltore im Tal gab es nur fünf, ein sechstes, das Eiserne Tor, lag in einer Schlucht auf dem Berg nicht weit von ihrem Standort.
Die schachbrettartige Anlage der Straßen zeugte vom antiken Ursprung der Stadt, ebenso die Überreste vieler griechischer Tempel. Römisch waren die Mosaiken, die überall zu finden waren, wie auch die kuppelüberdachten Basiliken. Überhaupt hatte Antiochia, mit Ausnahme der Basare, wenig Orientalisches an sich und war mit seinen Palästen und öffentlichen Bauten eine byzantinische Stadt durch und durch. Linker Hand konnten sie auf den Prinzenpalast hinabsehen, direkt gegenüber lag die gewaltige Kathedrale Saint Pierre. In ihrem Innern hatte der Hirtenjunge Bartholomäus die heilige Lanze gefunden, mit deren Hilfe es gelungen war, die Türken in der letzten, verzweifelten Schlacht um Antiochia zu besiegen.
»Ich stelle mir vor, wie mein Großvater hier acht Monate lang gekämpft hat«, sagte Arnaut. »Dort unten am Fluss vor der Stadt haben sie den Winter hindurch in Schlamm und Regen gehaust, gefroren, gehungert und Blut geschissen, als die Seuche sie im Griff hatte. Unglaublich, dass wir jetzt hier sitzen.«
»Ich weiß«, erwiderte Aimar. »Er hat mir ja seine ganze Geschichte erzählt. Und dies ist die Heimatstadt deiner Großmutter, Noura.«
»Als er in der Schlacht verwundet wurde, hat sie ihn gesund gepflegt. Und das, obwohl sie beim Sturm der Christen ihre ganze Familie verloren hatte.«
»Immerhin hat Jaufré sie aus den Trümmern ihres Hauses und vor den Greueltaten des Pöbels retten können.«
»Ich wünschte, meine Mutter könnte jetzt hier bei uns sein, in der Stadt ihrer Vorfahren«, sagte Arnaut. »Man hat mir gesagt, es leben noch immer viele Armenier hier.«
Bei dem Gedanken an seine Mutter würgte es ihn in der Kehle. Alles in der Heimat schien inzwischen so unendlich weit und unerreichbar. »Daheim wissen sie nicht einmal, ob wir noch leben«, murmelte er und dachte dabei an Ermengarda.
»Ich habe ihr geschrieben, weißt du«, gestand Aimar verlegen.
»Wem?«
»Ermengarda. Von Konstantinopel aus.«
Arnaut mied seinen Blick und starrte lange in die Ferne.
»Und warum hast du mir das verschwiegen?«
»Ich dachte, du würdest wütend auf mich sein.«
»Da hast du verdammt recht. In Konstantinopel wäre ich wirklich wütend gewesen.« Er legte den Arm um Aimars dünne Schultern. »Ach, Aimar. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich sie vermisse.«
Alle drei saßen sie still da und dachten an die Heimat, an das ferne Rocafort, an Narbona und an Ermengarda.
»Dann schreib doch noch einen Brief«, schlug Severin vor. »In Saint Simeon kommen und gehen die Schiffe. Da gibt es bestimmt Gelegenheit, ihn abzuschicken.«
»Ja, sag ihr, dass es uns gutgeht«, stimmte Arnaut zu. »Und dass ich sie liebe. Und dass ich ein Idiot war.« Er wischte sich über die Augen. »Und an meine Mutter schreibst du auch. Sie wird sich freuen, von dir zu hören. Sie hat dich immer gerngehabt.«
»So, meinst du?« Nun hatte auch Aimar feuchte Augen. »Ich verrate dir jetzt etwas, das niemand weiß. Für deine Mutter hatte ich immer eine große Schwäche. Dabei muss ich mich schämen, denn es steht mir nicht zu. Ich hoffe, du nimmst es
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