Die Hure Babylon
ihn unerwartet und ganz leibhaftig vor mir stehen zu sehen, dass ich einen Schrei ausstieß, ihn sofort in meine Arme schloss und ohne jede Scham vor versammeltem Hof so heftig abküsste, dass ihm die Luft wegblieb.
Er sah gealtert aus. Oder vielleicht nur, weil er müde von der Reise war. Und doch war er so aufgeregt, dass er mir alles gleich berichten wollte. Das Allerwichtigste natürlich zuerst. Arnaut lebt, sagte er, und es ginge ihm gut. Woraufhin ich in Tränen ausbrach, mich bekreuzigte und ein heißes Dankgebet an den Himmel sandte.
Und heute war er den ganzen Tag bei mir und erzählte in allen Einzelheiten von diesem schrecklichen und am Ende sinnlosen Feldzug der Könige ins Heilige Land. Es betrübte mich zu wissen, dass ich recht gehabt hatte. Wie oft hatte ich nicht schon Clairvaux und den Papst verflucht und all die anderen machtgierigen Männer in Purpur. Aber was half’s?
Die Jungfrau Maria sei gepriesen, dass Arnaut verschont geblieben war. Und Severin. Und mein kleiner Jori, jetzt wohl nicht mehr so klein, denn nun war er verheiratet, wie Aimar berichtete. Auch Severin hatte ein Weib gefunden, eine außergewöhnliche Frau, nach Aimars Beschreibung zu urteilen.
»Und Felipe? Hast du ihn noch einmal gesehen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht seit Antiochia.«
Beim Gedanken an Felipe erfasste mich eine tiefe Traurigkeit. Wir waren so gute Freunde gewesen. Durch alle Widrigkeiten hindurch hatte er mir zur Seite gestanden. Warum musste es so enden?
»Ich hoffe, er kommt heim. Ich will nicht für seinen Tod verantwortlich sein.«
»Ach, weißt du, sosehr ich Felipe als Freund schätze, aber er ist ein erwachsener Mann. Er trifft seine eigenen Entscheidungen.«
»Wie wir alle«, sagte ich niedergeschlagen. »Wir treffen täglich Entscheidungen, ohne zu wissen, wohin sie führen. Erst am Ende sind wir klüger. Und dann ist es meist zu spät.«
»Heute ist ein fröhlicher Tag«, rief Aimar. »Da wirst du mir doch nicht trübsinnig werden.«
Ich lachte. »Du hast recht. Erzähl mir mehr. Wie war dein Aufenthalt in der Heiligen Stadt?«
»Kürzer, als ich geplant hatte. Ich habe mir alles angeschaut, aber dann konnte ich es dort einfach nicht mehr aushalten. Nichts mehr vom stolzen Auftritt dreier Könige zu spüren. Unsere Herrscher versteckten ihre Scham über die Niederlage hinter hohen Palastmauern. In der Stadt dagegen ein endloses Jammern und Wehklagen. Totenmessen ohne Ende und überall Verwundete in eiternden Verbänden, die um ein bisschen Brot bettelten. Außerdem hatte ich Heimweh, ich gebe es zu. Da bin ich nach Acre geflohen, um ein Schiff zu finden.«
»Ist denn Jerusalem jetzt verloren?«, fragte ich besorgt.
»Das glaube ich nicht. Die Sarazenen haben ja selbst Verluste erlitten. Und die Stadt ist gut befestigt. Die Templer werden Ersatz schicken, einige Veteranen werden wohl bleiben. Außerdem werden sie hier in den Kirchen wie immer werben, damit noch mehr Ritter das Kreuz nehmen und die Lücken füllen.«
»Also alles beim Alten. Clairvaux’ großer Pilgerzug hat kaum etwas erreicht.«
»Nur eine Menge Tote.«
Ich schüttelte den Kopf. Wir Frauen in der Heimat sind nichts als die Witwen noch lebender Männer, so hatte er sich ausgedrückt. Und auch auf mich hatte das gepasst. Nur, dass die meisten nun wirklich Witwen waren und ihre vaterlosen Kinder durchbringen mussten. Was für eine Verschwendung. Was für ein Elend.
»Du bist sicher, Arnaut geht es gut?«
»Er wurde verwundet. Das habe ich dir erzählt. Aber das ist längst verheilt. Ich habe ihn bei guter Gesundheit zurückgelassen.«
»Für deine Briefe danke ich dir aus ganzem Herzen, Aimar. Sieh her, wie zerfleddert sie sind, so oft habe ich sie gelesen.«
»Ich hatte Angst, sie würden nie ankommen.«
»Aber warum hat er nicht selbst ein Wort hinzugefügt? Und ist es wahr, dass er bereut, mich verlassen zu haben?«
»Er bereut es, Ermengarda. Und er lässt dir sagen, gleich, was geschehen ist, dass er dich liebt.«
Da konnte ich die Tränen nicht länger zurückhalten. »Aber warum kommt er dann nicht?«, hauchte ich. »Weiß er denn nicht, dass ich hier seit einer Ewigkeit auf ihn warte und mich die Sehnsucht umbringt?«
Aimar seufzte. »Ich habe ihn gefragt, warum er nicht heimkehren will. Seine Antwort war, er müsse Bertran zur Seite stehen. Aber ich glaube, das sind Ausflüchte. Ich glaube, er hat Angst, du könntest ihm nicht vergeben und ihn zurückweisen. Es sei nicht mehr zu heilen, hat er
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