Die Hure Babylon
den Boden gepflanzt, wobei das eigene Gewicht den Pfahl langsam und über Stunden durch den Leib zwängt und den Menschen qualvoll verenden lässt.
Das waren die Schreie gewesen, die noch lange in Constansas Seele nachgehallt und sie bis in ihre Träume verfolgt hatten. Als sie dann am Morgen zur allgemeinen Erbauung des Heeres die nackten, geschändeten Leiber an den Pfählen hängen sah, musste sie sich übergeben.
»Denk daran, was wir unterwegs gesehen haben«, sagte Jori, »und was sie anderen angetan haben.«
Zitternd wischte sie sich den Mund ab.
»Aber wir sind doch Christenmenschen«, flüsterte sie. »Wir sollten es besser wissen.«
Die Herren Geistlichen, die den Zug begleiteten, dachten ganz anders darüber. Die Bischöfe Godefroy de Langres, Arnoul de Lisieux, Étienne de Bar aus Metz, Henri de Lorraine aus Toul und der
legatus
des Papstes, Guido de San Grisogono, hielten es für angebracht, im Angesicht dieser elenden Kadaver eine heilige Messe abzuhalten. Vielleicht, um den Kriegern einen besiegten Feind vorzuführen, um ihren Mut oder den Hass gegen Andersgläubige zu schüren.
Mitten in der Liturgie geschah etwas gänzlich Unerwartetes. Trotz eines wolkenlosen Himmels begann sich die Sonne zu verdunkeln. Es war, als würde sich allmählich eine Hand darüberschieben und einen dunklen Schleier über die Welt legen. Alles erschrak bis ins Knochenmark. Die Männer fielen auf die Knie und bekreuzigten sich. Wollte Gott sie strafen? Nahte denn das Ende der Welt?
Doch Bischof Godefroy war aufgefallen, dass die Sonne nur zum Teil bedeckt wurde.
»Seht doch«, rief er geistesgegenwärtig. »Dies ist Gottes Offenbarung. Der Herr sendet uns das Vorzeichen unseres Sieges. Die finstere Seite der Sonnenscheibe, das sind die Ungläubigen, die Anhänger Satans.« Er wies auf die geschändeten Leichen der Türken. Dann hob er die Arme zur Sonne empor. »Doch Jesus Christus, das Licht der Welt, schickt sich an, sie zu vernichten. Seht nur und staunt!«
Tatsächlich zog sich die Dunkelheit langsam zurück, widerwillig, wie es schien. Das Licht nahm unmerklich, aber stetig zu, so dass man nicht mehr hinschauen konnte, so sehr blendete Gottes gleißende Herrlichkeit.
Lumen mundi,
das Licht der Welt.
Ein Wunder war geschehen. Freudentaumel erfasste die Männer. Halb blind vom gleißenden Licht sprangen sie auf, jubelten und priesen Gott den Herrn.
Als endlich Ruhe einkehrte, kniete Louis nieder und empfing mit von Tränen überströmtem Antlitz die heilige Kommunion aus der Hand des Bischofs. Daraufhin sein Bruder, Robert de Dreux, und der
Comte
Amédée de Savoie, Oheim des Königs, und nach ihnen alle anderen Anführer des Heeres, auch die der Alemannen.
Mit neuer Zuversicht und begleitet von den Lobeshymnen der Mönche, brach die
militia
auf. Das goldene Kreuz war weithin sichtbar, das rote Banner des Königs wehte stolz im Wind.
Die Schlacht am Mäander
D ie Marschordnung war auf Betreiben der Templer geändert worden. Der Tross und die Verwundeten wurden zur Sicherheit in die Mitte genommen und die Maultiertreiber angewiesen, die Tiere nebeneinander in mehreren Reihen zu halten und immer dicht an dicht aufzuschließen. Daneben marschierte ebenfalls in mehreren Reihen das Fußvolk. Die rechte Flanke war durch den Fluss gesichert, der bis auf ganz wenige Furten zu tief zum Überqueren war. Vorn, hinten und auf der linken Flanke ritten Schwadrone von gepanzerten Reitern.
Bald kam es zu ersten Angriffen der Seldschuken. Urplötzlich und unerwartet, wie es ihre Art war, tauchten sie aus bewaldeten Seitentälern auf, wo sie hinter Gebüsch und Felsen auf der Lauer gelegen hatten. Auf ihren schnellen Pferden stürmten sie heran, mal vorn, mal weiter hinten, in der Absicht, einen zermürbenden Pfeilhagel auf die Christen niedergehen zu lassen.
Aber die neue Marschordnung bewährte sich, denn bevor sie zu nahe kommen konnten, war schon ein Reitertrupp zur Stelle, der sie mit gesenkten Lanzen angriff und in die Flucht schlug. Vor den Panzerreitern schienen sie nach der letzten Schlacht gehörigen Respekt zu haben. Und so waren die Angriffe zwar lästig, aber hinderten die
militia
nicht, ihren Weg fortzusetzen. Verluste blieben bescheiden, wenn auch jedes Mal Pferde verletzt oder getötet wurden.
Tags darauf, zur Mittagszeit, näherten sie sich dem Ort Antiochia, in einer, trotz der kalten Jahreszeit, lieblich anmutenden Landschaft, voller Weingärten, Olivenhaine und Zitronenbäume. Letztere sah Arnaut zum
Weitere Kostenlose Bücher