Die Hure: Roman (German Edition)
Backfischträumen nachhing: Irgendwann würde der Läufer sie bemerken.
Und dann, eines Morgens, auf der Höhe des von Morgentau benetzten Kirschgartens, wandte der Mann den Blick.
Er wandte endlich den Blick!
Und sah ein wunderschönes junges Mädchen am Fuß der aufblühenden Bäume, scheu, aber verführerisch.
Ares blieb auf dem Weg stehen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er war selten verblüfft, doch selbst in so einer Situation gelang es ihm noch, stattlich auszusehen. Zumindest seiner Meinung nach. Er näherte sich dem Mädchen. In welcher Absicht? Na, gewiss nicht in unsittlicher. Aber er hätte diese Jungfrau schon brennend gern gevögelt.
Bevor er in Reichweite kam, stürmte eine riesige goldene Stute auf ihn zu und schleuderte ihn meterweit fort.
Die Stute verwandelte sich in eine Frau, die heftig auf das Mädchen einredete, es am Arm packte und aus dem Kirschgarten zog.
Aber Ares folgte der Frau und dem Mädchen und fand nicht mehr dahin zurück, woher er gekommen war.
»Zieh Leine, Perversling!«, rief Demeter, die Mutter des Mädchens, dem im Garten patrouillierenden Ares jeden Morgen als Erstes und jeden Abend als Letztes zu. »Sie ist erst zwölf.«
»Aber sie ist schon fast erwachsen, das siehst du doch!«, jammerte Ares.
Und er antwortete nicht mehr auf Aphrodites SMS, in denen sie fragte, wie wollen wir unsere neue Wohnung einrichten und wie soll unser Baby heißen? Denn ein gemeinsames Zuhause würde es nie geben.
Ganz allein brachte Aphrodite ein Mädchen zur Welt, das sie zärtlich Nemesis nannte.
Als Alleinerziehende geriet Aphrodite ins Elend. Sie musste mit ihrem Baby in immer kleinere und billigere Wohnungen ziehen. Sie konnte es sich nicht leisten, Nemesis modische Kleidung und schönes Spielzeug zu kaufen. »Auch das verdanken wir deinem Vater und der Schlampe, die ihn uns weggenommen hat«, sagte Aphrodite oft, wenn das Dach leckte, die Schuhe zu klein geworden waren oder der Fernseher kaputtging.
Vielleicht war es die karge Kindheit, die Nemesis so frühreif machte. Schon als Zweijährige hielt sie sich für alt genug, zur Armee zu gehen, denn das war die beste Alternative für Kinder aus armen Familien. Noch beim Abschied erinnerte die Mutter ihre Tochter daran, dass alles ganz anders hätte kommen können: Nemesis hätte eine gute Schule besuchen sollen, doch das war nicht möglich, und zwar nur wegen der scheiß Persephone.
Nemesis sagte: »Mutter, du hast so viel durchmachen müssen.«
Doch das galt auch für sie.
Sie warf ihr langes dunkles Haar zurück, strich sich die dichten Fransen aus der Stirn und zog in den Kampf.
Rasch wuchs sie zu einer hervorragenden Kriegerin heran. Häufig schob sie das Tor zum Tod auf, und einmal geschah es, dass sie eine ganze Legion Männer in den Tod schickte, weil die nicht hatten glauben wollen, dass ein etwas molliges, komisch aussehendes Mädchen sie abschlachten könnte. Aber das Mädchen schlachtete sie ab.
Die Soldaten marschierten reihenweise in den Tod, und der König des Totenreichs überwachte den Einmarsch auf seiner Seite der Grenze. Dabei warf er zufällig einen Blick auf diejenige, die diese Männer von den Fesseln des Lebens befreit hatte.
Und er fand es unglaublich sexy, dass ein junges Mädchen eine große Waffe trug. Er trat auf die Seite des Lebens und sagte zu Nemesis: »Du bist das Schärfste, was mir seit Langem zu Gesicht gekommen ist.«
»Ich bin das Schärfste?«, gab Nemesis zurück, die einiges gewöhnt war, und wehrte die zudringlichen Hände des Königs mit dem Bajonett ab.
»Jaa«, keuchte König Hades mit rotem Gesicht.
»Na, dann kennst du Persephone wohl noch nicht?«
»Nein.«
»Sie ist nämlich das heißeste Mädchen aller Zeiten.«
»Tatsächlich?«
»Ja, und außerdem hat sie gesagt, dass sie für untersetzte, halb kahle Männer mittleren Alters schwärmt. Du bist genau ihr Typ.«
»Wirklich?«
»Absolut.«
Nemesis beschrieb Hades den Weg zu Persephones Haus. Und Hades zögerte keine Sekunde.
Als er sich Persephones Haus näherte, welkten und verdorrten alle Pflanzen, die kultivierten wie die wilden, und Persephones Mutter, die göttliche Hüterin all dieser Gewächse, war vollauf damit beschäftigt, sie zu retten. Deshalb war sie nicht da, als Hades ins Haus eindrang, seine Finger im zarten Fleisch der jungen Persephone vergrub und sie ins Reich des Todes verschleppte, bevor sich das Tor hinter dem letzten Toten der Legion schloss.
Aber was dann zwischen ihnen geschah,
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