Die Hure: Roman (German Edition)
weitergehen. Doch der Mann schlug sie zu Boden. Er fesselte ihre Arme und schob sie in den rückwärtigen Teil des Lieferwagens, wo bereits einige andere Mädchen kauerten.
Sie wurden viele Nächte und viele Tage transportiert. Ihr Geschäft mussten sie in einen Eimer verrichten, der einmal täglich geleert wurde.
In einer fremden Stadt wurden die Mädchen in ein Haus gebracht, wo man sie schlug und beschimpfte. Wenn sie weinten oder baten, nach Hause zu dürfen, oder überhaupt um irgendetwas baten, wurden sie noch heftiger geschlagen und beschimpft. Sie bekamen schlechtes Essen, und als Toilette diente ihnen immer noch der Eimer.
Phueng, eins der größeren Mädchen, schlug einmal zurück und versuchte zu fliehen. Daraufhin kippten die Wärter den Fäkalieneimer aus und zwangen sie, alles aufzuessen, was darin gewesen war. Phueng sagte, das sei die beste Mahlzeit, die sie in diesem Haus bekommen hatte.
Sie verbrachten vielleicht eine Woche, vielleicht einen Monat in dem Haus. Dann durften sie sich zum ersten Mal seit langer Zeit waschen. Man klebte ihnen neue Fingernägel an und schnitt ihnen modische Frisuren. Ihre alten Kleider wurden weggeworfen, und stattdessen bekamen sie neue, sehr kurze, glänzende Kleider, die nur wenig verhüllten. Man lehrte sie, sich zu schminken. Unter Phuengs Anleitung spielten sie MTV, wenn die Erwachsenen nicht dabei waren.
Dann begann die Arbeit.
Isras erstes Mal war nicht so schrecklich wie bei vielen anderen. Wie bei Phueng beispielsweise. Aber Phuengs rotgesichtiger Liebhaber kam auch nicht ganz unversehrt davon.
In aller Welt dachten die Menschen, das sei nun mal ein Phänomen, das zur thailändischen Kultur gehört. Daran kann man nichts ändern. Und in Thailand lächeln die Einheimischen doch ständig und wollen zu Diensten sein. Auch die kleinen Mädchen! Außerdem, wenn sie nicht im Bordell arbeiten würden, müssten sie bestimmt im Elend leben. Viele schlechte Alternativen. Und mancher Tourist, der sich in einem ganz normalen Freudenhaus wähnte, besann sich doch ganz gewiss beim Anblick eines Kindes und gab der Kleinen fünf oder zehn oder hundert Dollar ohne jeden Gegendienst und schwor sich, nie wiederzukommen. Bestimmt taten das viele. Und natürlich war niemand nur in dieses exotische Land gekommen, weil er sich hier mehr erlauben konnte als zu Hause. Also seid still und lasst uns die Affen bestaunen.
Isra und ihre jungen Kolleginnen mussten bald feststellen, dass ein Mensch von außen noch so weiß sein konnte und innerlich dennoch aus nichts als Scheiße bestand.
Sie hätten für den Rest ihres Lebens im Bordell bleiben müssen, also so lange, bis sie ein nutzloses Alter erreicht haben würden und jemand sie erwürgte oder erschlug. Doch sie entschieden sich anders.
Vielleicht lag es an der in ein goldenes Kleid gehüllten, schönen, katzenäugigen blonden Frau, die vom Balkon des gegenüberliegenden Hotels direkt in ihr vergittertes Fensterchen blickte. Sie sagte in der Sprache der Mädchen »Kämpft« und dann »Rrrevolüsioon«, enthüllte ihre Brust und schwenkte eine schwarze Fahne.
Oder vielleicht lag es an etwas anderem. Doch plötzlich spürten sie, dass ihr Leben und ihr Leid tatsächlich existierten und dass die Minderwertigkeit ihres Geschlechts vielleicht doch keine objektive Tatsache war.
Und als würde ein in Zeitlupe laufender Film plötzlich zur normalen Geschwindigkeit zurückkehren, wussten sie nun, dass sie fliehen mussten. Wenn sie sich nicht selbst retteten, würde es niemand tun.
Die dreizehn kleinen Mädchen, die in dem kleinen Bordell lebten, schmiedeten einen Plan. Sie warteten auf den passenden Freier. Als er kam, nahm Phueng ihn in ihre Obhut. Unterdessen vergifteten die anderen die Bordellmutter und machten den Laden dicht. Dann versteckten sie sich im Koffer des Sextouristen und verließen das Land, Phueng in der Tüte mit dem zollfreien Schnaps.
Danach veränderten sie sich, wie sich Larven verändern, wenn sie ihren Kokon durchbrechen.
Aphrodite steht während des Fluges unter Narkose, Milla dagegen darf kein Schlafmittel nehmen. Ihr ist vom Start an übel. Sie schreit, die Geburt setzt ein, jetzt setzt die Geburt ein. Die Stewardessen und die Mitreisenden sind entsetzt und zum Schluss auch ziemlich wütend, denn trotz ihres Geblökes kommt kein Kind.
Die kleine Isra benimmt sich im Flugzeug wie ein Engel. Wie ein schwarzer, fliegenflügeliger Engel, aber immerhin! Nur ein einziges Mal spuckt sie einen Schwall Tinte
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