Die Hure: Roman (German Edition)
ihren Bauch. Er ist immer noch groß. Ist das Kind doch nicht herausgekommen? Es muss gekommen sein. Bleibt der Bauch so? Muss sie trainieren wie verrückt, um ihn loszuwerden? Steckt ein zweites Kind darin? Man sagt doch, dass der Körper bei jungen Menschen schnell seine Form zurückgewinnt. Ist sie in dieser Hinsicht noch jung? Oder in ganz normalem Alter? Ist sie jetzt eine junge Mutter?
Sie hat in der vorigen Nacht einen neuen Menschen geboren. Eine Person, die früher nicht existierte und jetzt da ist.
Sie überlegt, wie das Baby wohl aussieht. Ob es niedlich oder verschrumpelt ist. Ob es große Augen hat oder einem alten Mann gleicht. Blau im Gesicht oder normal. Ist es überhaupt richtig weiß oder andersrassig?
Glatze oder lange Haare? Groß oder klein?
Mädchen oder Junge?
Gesund oder behindert?
Milla steht zu schnell auf. Der Schmerz wirft sie aufs Bett zurück. Sie spannt alle Muskeln an, verzieht das Gesicht und erhebt sich erneut. Ihr tut der ganze Körper weh, als wäre sie beim Body Pump gewesen. Sie schleicht an die Wiege, vor der Aphrodite in unbequemer Haltung schläft.
Milla zieht das Moskitonetz beiseite. Da liegt ihr kleines Baby. Na ja, so richtig klein ist es nicht, vielleicht so groß wie eine Katze. Es hat runde Wangen, einen großen Kopf und riesige violette Augen. Es ist definitiv das schönste Baby, das Milla je gesehen hat.
Und es ist ihres! Hihi! Nichts hat ihr jemals so sehr gehört.
Ihre Brüste wiegen sicher zehn Kilo. Also, normalerweise wiegen sie nicht so viel, falls da jemand falsche Vorstellungen hat. Sie nimmt das Baby in die Arme und kehrt mit ihm ins Bett zurück. Sie stillt es.
Aus ihren Brüsten kommt Milch!
Pfui Deibel!
Wie krankhaft!
Wie wundersam!
Aphrodite erwacht. Sie erschrickt, als sie die leere Wiege sieht. Milla winkt ihr vom Bett aus zu. Aphrodite betrachtet die Symbiose von Mutter und Kind. Der Anblick ist rührend, auch wenn sie die fleischliche Liebe zwischen zwei Erwachsenen immer auf den ersten Rang gesetzt hat.
»Wie soll es heißen?«, fragt Aphrodite.
»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.«
»Dann musst du jetzt nachdenken.«
»Warum?«
»Wenn es überraschend stirbt, muss es sonst namenlos in den Tod gehen. Das ist ein entsetzliches Schicksal.«
»Morpheus.«
»Morpheus?«
»Wegen dem Morphium.«
»Okay. Das ist ganz okay.«
Die Erinnyen gelten als verbitterte Frauen. Sie sind nicht verbittert. Sie sind gerecht.
Als die Hölle erschaffen wurde, endeten alle Frauen automatisch dort. Die Frauen waren ja von Natur aus sündig und verführerisch, obwohl sie andererseits nicht einmal fähig waren, Sex zu genießen. Die Männer dagegen waren von Natur aus vernünftig und moralisch, doch andererseits konnte der bloße Anblick eines Frauenknöchels oder Frauenarms sie zu irrationalen, leidenschaftlichen Taten veranlassen. Jedenfalls wurden einige Männer der Freuden des Himmels teilhaftig, andere schmorten in der Hölle, wobei das Kriterium in der Regel ihr irdischer Wohlstand war.
Die Erinnyen trauerten über das Los der Frauen in der Hölle. Das ist wider alle Vernunft, dachten sie. Auch die Frauen mussten das Recht haben, in den Himmel zu kommen. Sie führten Kampagnen und kämpften, und schließlich wurde beschlossen, dass auch Frauen in den Himmel dürfen, wenn sie die entsprechende Quali fi kation vorweisen können.
Die Erinnyen feierten und hielten Reden. Bald stellten sie jedoch fest, dass zwar die Hälfte der Menschen Frauen waren, dass ihr Anteil an der Bevölkerung des Himmels aber weitaus geringer war. Zwischen Himmel und Hölle war das Fegefeuer geschaffen worden, in dem viele Frauen stecken blieben. Was zum Teufel, überlegten die Erinnyen und begannen, den Menschen nachzuspionieren.
Es zeigte sich, dass die Männer zu einem gewissen Grad den Aufstieg der Frauen in den Himmel sabotierten, sich aber vor allem gegenseitig unterstützten. Die Frauen dagegen wetteiferten gegeneinander um die Gunst der Männer, denn sie glaubten, mithilfe der Männer leichter in den Himmel aufzusteigen.
Seht ihr, hier liegt der Kern des Problems, erklärten die Erinnyen den Frauen. Einige begriffen und nahmen den Rat ernst. Sie verbündeten sich und unterstützten einander. Die Männer fuchste es ein bisschen, dass sie aus diesen Frauengruppen ausgeschlossen waren. Sie konnten jedoch nicht verhindern, dass es diesen Frauen schließlich gelang, sich selbst und ihren Verbündeten den Weg in den Himmel zu bahnen.
Hah, wir haben es
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